Sie ist eine der ältesten Kirchen der Wallfahrtsstadt und trägt den Namen eines berühmten Erzengels – in Altötting jedoch wird die St. Michaelskirche gerne mal übersehen. Dies hat mit ihrer geografischen Lage etwas abseits des Kapellplatzes zu tun ebenso wie mit ihrer maßgeblichen Bestimmung als „Friedhofskirche“. Dabei bietet die Kirche, die vor 550 Jahren, am 28. September 1469, geweiht wurde, so manche Schmuckstücke – und auch der Name kommt nicht von ungefähr.
Er stürzt den Drachen (Satan) in den Abgrund und führt die himmlischen Heerscharen an – Michael ist sehr häufig als der Erzengel mit dem Schwert in der Hand dargestellt (siehe auch Seite 5). Viel wichtiger für die Menschen aber ist Michaels Rolle nach dem Tod: Bilder zeigen ihn oft, wie er mit der „Seelenwaage“ in der Hand Gut gegen Böse abwägt. Dem christlichen Glauben nach erstellt der Erzengel ein Verzeichnis der guten und schlechten Taten der einzelnen Menschen und legt dieses Gott für dessen Urteil vor. Zu seinen vielen Patronaten zählt daher auch jenes für die „Armen Seelen, Sterbenden und Friedhöfe“.
St. Michael ist also ein sehr passender Name für eine Kirche, in deren Eingangsbereich und an deren Nordwand wertvolle Grabsteine von ihrer Bestimmung zeugen. Eine Friedhofs-kirche vor allem für die über viele Jahrhunderte dem Stift Altötting zugeordneten Bürger der Nachbarstadt Neuötting (erst nach der Auflösung des zweiten Stifts im Zuge der Säkularisation 1803 wurde der Friedhof bei St. Michael alleiniger Altöttinger Friedhof) bestand offenbar schon lange vor dem heute noch bestehenden, 1469 geweihten Bau: eine St. Michaelskirche wurde bereits 1383 erstmals urkundlich erwähnt, als ihr eine Witwe aus Neuötting eine tägliche Messe stiftete; drei Jahre später verlieh ihr Bischof Pilgrim aus Salzburg einen Ablass. Der „neuen“ Kirche weihte im Jahr 1511 Bischof Bertold von Chiemsee einen „Gottesacker“ – vermutlich eine Erweiterung eines bereits bestehenden Friedhofs.
Interessant für Wallfahrer und Touristen aber ist die Kirche selbst. Die äußerlich schlichte Hallenkirche an der Neuöttingerstraße nördlich des Kapellplatzes imponiert vor allem durch ihren stilreinen Geist der Spätgotik. Im hellen Innenraum mit einem filigranen Netzrippengewölbe befinden sich so einige Kunstwerke: Aus der Zeit um 1500 stammt die Darstellung des „Jüngsten Gerichts“ im Giebelfeld einer der pfeilerumrahmten Seitennischen; die „Secco-Malerei“ wurde erst wieder 1969 im Rahmen einer aufwändigen Restaurierung und Renovierung der Kirche freigelegt. Besondere Sehenswürdigkeiten sind außerdem das vom Chorbogen herabhängende Kruzifix mit einem lebendig gestalteten Corpus aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, eine spätgotische Sebastiansfigur im dritten Joch der Südseite, eine Plastik St. Michaels als Drachenbezwinger aus der Renaissance im ersten Joch der Südseite, eine frühbarocke Mater Dolorosa, ein Sakramentshäuschen (Steinmetzarbeit aus dem späten 15. Jahrhundert) an der Nordseite des Chores und zwei Ölgemälde (Anna Selbdritt und Pieta) über dem Nord- und Südportal.
Eine aus Metall getriebene St. Michaelsfigur, die früher an der Südwand der Kirche hing und heute beim Romanischen Portal der Stiftspfarrkirche zu finden ist, war vermutlich einmal eine Bruderschaftsfigur der Altöttinger Michaelibruderschaft. Die „dem großen Himmelsfürsten und Schutzpatron der Sterbenden“ geweihte Gemeinschaft feiert ihr jährliches Hauptfest traditionell am 29. September, dem Gedenktag des Erzengels Michael (siehe Kasten). Heuer wird die Bruderschaft auch dem 550-jährigen Jubiläum der St. Michaelskirche gedenken.
Text: Michael Glaß
Fotos: Roswitha Dorfner