„Und wieder steht im Wälderkreis ein Bischof heut‘, in Rot und Weiß“ – Mit diesen Versen wurde im Oktober 1950 Bischof Simon Konrad Landersdorfer im Grenzort Philippsreut begrüßt, um das neuerrichtete Gotteshaus unter dem Patronat des Hl. Karl Borromäus zur Seelsorgskirche für die Expositurgemeinde Philippsreut zu weihen. Und auch am vergangenen Sonntag wurde der Vers zitiert: Bischof Stefan Oster feierte den 75. Weihetag der Kirche gemeinsam mit den Philippsreutern.
Von einem Tag der Dankbarkeit und der Freude sprach Kirchenpfleger Franz Friedsam bei der Begrüßung in der festlich geschmückten Kirche. Seit 75 Jahren komme hier die Gemeinde in Christi Namen zusammen, um Gottesdienst zu feiern, Freude zu teilen oder Trost zu finden und die Sakramente zu empfangen. Seit 75 Jahren haben sich zudem immer wieder Ehrenamtliche und Engagierte gefunden, die das Vermächtnis jener Generation gepflegt haben, welche einst unter größten Opfern diese Kirche errichtet hat, um Gott eine würdige Heimstätte in ihrer Mitte zu geben, so der Tenor des Festtages.
Foto: Christian Weishäupl
Der Kirchenbau in schwerer Nachkriegszeit war notwendig geworden, weil die ursprüngliche, erst 1928 fertiggestellte Expositurkirche in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs vollends zerstört wurde. Ende April 1945 stand der kleine Grenzort mehrere Tage lang unter heftigstem amerikanischen Artilleriebeschuss. Die heranrückende Siegermacht hatte – und zwar gar nicht zu Unrecht – vermutet, dass sich im Dorf und in den umliegenden Wäldern Reste geschlagener SS-Einheiten verschanzten, welche die zur Kapitulation bereite Bevölkerung zum Widerstand aufhetzen wollten.
Über drei Tage und Nächte hinweg hatte man bereits immer wieder Geschützfeuer nach Philippsreut abgesetzt, der Großteil des Beschusses ging jedoch in die Wiesen unterhalb des Dorfes oder in Richtung Böhmen, ohne größere Schäden anzurichten. Am 27. April aber, abends gegen 20.30 Uhr, landete eine Granate in der Kirche, die dabei völlig zerstört wurde. Expositus Max Brandner (wirkte von 1944 bis 1951 in der Gemeinde) erlebte den Einschlag als Augenzeuge. Unter höchster Gefahr begab er sich mit zwei Nachbarn bei anhaltendem Beschuss zur zerstörten Kirche, um das Allerheiligste aus den Trümmern zu bergen.
Foto: Christian Weishäupl
Überraschend schnell waren sich sowohl Kirchenverwaltung als auch Ordinariat einig, die zerstörte Kirche nicht wieder aufzubauen, sondern ein größeres Gotteshaus in unmittelbarer Nähe des Pfarrhofs zu errichten. Eine Entscheidung, die nicht selbstverständlich war: Wer hätte es der kleinen Gemeinde verdenken können, wenn man in Anbetracht all der Not und Entbehrungen der Nachkriegszeit, der vielen durch den Krieg zerrissenen Familien und der nicht enden wollenden Flüchtlingsströme aus dem Osten, die durch den Ort zogen und notdürftig versorgt werden mussten, den Neubau der Kirche noch etwas hinausgeschoben hätte? Seit den Kriegstagen hatten Not und Elend um sich gegriffen, die Wirtschaft lag am Boden, die Währung war wertlos. Waren und damit auch Baustoffe waren streng kontingentiert, und nach der Währungsreform von 1948 fehlte es vor allem an Geld.
An diese Widrigkeiten knüpfte auch Bischof Oster, der den Festgottesdienst zum 75. Weihejubiläum der Kirche gemeinsam mit Dekan Magnus König aus Freyung und Ortspfarrer Yohan Injumala zelebrierte, in seiner Predigt an: Den Menschen sei damals, nach den bitteren Erfahrungen von Krieg, Diktatur und Terror, Gewalt und Leid wichtig gewesen, ein Zeugnis für Gott in ihrer Mitte zu haben, eine Orientierung, die ihnen Antwort auf die Fragen gegeben habe: Woher kommen wir, wo gehen wir hin?
Bischof Oster spannt dabei auch den Bogen in die Gegenwart und Zukunft: Seit nunmehr acht Jahrzehnten sei der gesellschaftliche Wohlstand stetig gestiegen, während gegengleich Glaube und Kirchenbindung jäh zurückgegangen seien. Welche Rolle spiele also Kirche in der heutigen Zeit? Hierzu zitierte Bischof Oster das Diktum des Rechtsphilosophen Böckenförde, wonach der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne, etwa einem gewissen Bildungsgrad, der Bereitschaft zum sozialen Engagement oder der Vermittlung von Werten im respektvollen Umgang untereinander. Dies seien die Aufgaben von Kirche in Anbetracht der Partikularkräfte, von denen moderne Demokratien herausgefordert werden. Hierzu sei aber auch die Erinnerung an das Fundament, auf dem eine Gesellschaft stehe, essenziell. Bischof Oster dankte den Philippsreutern, diese Erinnerung so eindrucksvoll zu pflegen und Kirche in ihrem Ort auf vielfältigste Weise lebendig zu halten.
In den Gottesdienst wurde auch das Gedenken an die langjährigen Seelsorger BGR Max Richtsfeld (wirkte von 1967 bis 2006) und Pfarrer Alois Kaiser (wirkte von 2006 bis zu seinem frühen Tod 2022) eingeschlossen. Der Festtag klang mit einem gemütlichen Beisammensein im Pfarrsaal aus, wobei sich Bischof Oster viel Zeit für Gespräche mit den Philippsreutern nahm.
Text: Christian Weishäupl



