
Corona hält weiter die Welt in Atem. Aktuell breitet sich die Omikron Variante rasend auch in Europa aus. Laut WHO, der Weltgesundheitsorganisation, könnten sich in kürzester Zeit mehr als 50 Prozent der Bevölkerung in der EU infizieren. Wenn das so kommt, dann herrscht vor allem in den Kliniken wieder Ausnahmezustand, die Belastungsgrenze ist vielerorts auch so schon lange erreicht. Im Interview spricht Stefan Nowack über die Pandemie, er ist Werkleiter im Klinikum Passau.
Stefan Nowack kann als Werkleiter im Klinikum Passau von einem sehr bewegenden, harten Arbeitsalltag in der Corona-Pandenmie erzählen, von dem er und noch mehr seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen sind. Wir reden mit ihm über 2 Jahre Pandemie, die auch das Klinikum Passau in einen Ausnahmezustand versetzt hat.
Herr Nowak — was hat Sie in diesen zwei Jahren am meisten berührt?
“Viele Schicksale, die man mitbekommt. Das ist schon manchmal sehr bedrückend. Dass gerade ältere Patientinnen und Patienten im Krankenhaus auch versterben, das kennen wir natürlich. Zutiefst berührt hat mich der Tod einer Mitarbeiterin, die an Corona gestorben ist. Die sich hier bei uns im Haus während der Arbeit mit Covid angesteckt hat. Sie war eine Woche zuhause, steht auf und stirbt. Das ist letztes Jahr in der zweiten Welle passiert. Das war ein Punkt, an dem ich dachte: Oh Gott, was geht hier los. Und dann sehen wir natürlich auch junge Menschen, die hier reinkommen. Wir haben eine Mitarbeiterin, die wahrscheinlich nie mehr arbeiten kann, weil sie so schwer an ´Long-Covid´ erkrankt ist. Das alles sind einzelne Schicksale, die sich hinter den Zahlen verbergen.”

Fast zwei Jahre lebt die Welt nun mit einer Pandemie. Haben Sie jemals geglaubt, dass Sie als Leiter einer Klinik so etwas mit ihren rund 2500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchstehen müssen?
“Da kann ich nur sagen: Nein. Seit 30 Jahren führe ich Krankenhäuser, kann also auf eine relativ lange Zeit zurückschauen. Ich habe alles Mögliche erlebt. Aber so etwas — nein. Man kannte Pandemie ja nur aus der Zeitung und aus dem Fernsehen. Und da wurde von der Spanischen Grippe vor 100 Jahren gesprochen. Ich hätte mir das in dieser Dramatik in der heutigen Zeit nicht vorstellen können. Und ich hätte vor allem nicht gedacht, dass es so lange andauert.”
Wie haben Sie das damals eingeschätzt?
“Ich habe damals nach der ersten Welle geglaubt, dass das Schlimmste vorbei ist. Dann kam die zweite Welle und die war weitaus dramatischer als die erste. Die erste Welle war im Zeitraum März/April/Mai 2020, wir haben alles runtergefahren, alle waren wir im Lockdown, alle sehr brav und diszipliniert.
Wir hatten damals eine überschaubare Zahl an Patienten und kaum infizierte Mitarbeitende. Dann kam der Sommer 2020, es hat sich alles wieder entspannt, man war noch ein bisschen unsicher. Und dann kam die zweite Welle. Mit voller Wucht. Diese Welle hat alles übertroffen, was davor war. Sowohl an infizierten Mitarbeitern, an Patienten und vor allem an den Zahlen der Toten, an den Menschen, die an Covid gestorben sind.”
Vor ca. einem Jahr war es die bisher dramatischste Zeit, die Sie und die Mitarbeitenden am Klinikum erlebt haben. Was bleibt Ihnen da besonders in Erinnerung?
“Ich erinnere mich gut an Weihnachten vor einem Jahr, da habe ich sehr schlecht geschlafen. Wir hatten eine Urlaubssperre verhängt, es durfte keiner weg, alles wurde abgesagt und verschoben. Wir hatten um Neujahr einen Spitzenstand von rund 110 Corona Patienten erreicht. 110 Patienten! Da wussten wir nicht mehr, wie wir das schaffen sollen. Wir haben es geschafft und aufgeatmet, als der Impfstoff endlich kam. Und nun sind wir hoffentlich am Ende der vierten Welle und froh, dass wir eine Impfung haben. Geimpfte Menschen, die an Covid erkranken, werden viel weniger stark krank als die Ungeimpften. Auf der Intensivstation liegen überwiegend Ungeimpfte, wie vor kurzem ein junger Mann, Anfang 30, der beatmet werden musste oder eine schwangere Frau. Das sind Fälle, die mich auch als Werkleiter beschäftigten, obwohl ich nicht direkt am Krankenbett stehe.”
Hier können Sie den Klinikleiter im Interview hören:
Ihnen entgeht ein toller Beitrag!
Sie mussten mit ihrem Krisenteam viele Entscheidungen treffen – sicherlich eine sehr schwierige war das Besuchsverbot für Angehörige. Kann so etwas nochmal kommen? Wie ist die Stimmung in Ihrem Haus jetzt?
“Wir haben in der Spitzenzeit im November lange darüber nachgedacht und diskutiert, ob wir nochmal Besuchsverbot verhängen, weil es immer wieder Besucher gibt, die sich nicht an die geltenden Regeln halten wollen. Wir haben es nicht gemacht. Ich finde es sehr wichtig, dass Patienten Besuch von Angehörigen erhalten können. Es ist wieder ein Stück Normalität eingekehrt. Allerdings beschäftigt uns nicht nur Corona. Wir haben sehr viele Patienten, die auf ihren Operationstermin warten, weil sehr vieles verschoben wurde. Chefärzte berichten von schweren Fällen, die sie in ihrer beruflichen Laufbahn so noch nicht gesehen hat, weil die Patienten aus Angst vor Corona einfach so spät gekommen sind.”
Impfen nimmt Druck aus dem System. Sind Sie persönlich müde geworden über den Sinn einer Impfung zu reden? Nicht Geimpfte zu überzeugen?
“Wer jetzt noch glaubt, dass Impfen nichts hilft, da ist die Diskussion schwierig. Die Ergebnisse sind so eindeutig. Aber es ist leider so, dass man Menschen irgendwann nicht mehr mit Argumenten überzeugen kann. Sie sind in ihrer Auffassung so festgefahren. Es ist nicht so, dass ich mich nicht der Diskussion stellen möchte, wenn aber die Argumentation abstrus wird, gebe ich auf. Ich diskutiere nicht mehr mit Corona-Gegnern, da ist mir die Zeit zu schade.”
Haben Mitarbeitende – Ärzte oder Pflegende — vor, ihren Beruf vielleicht aufzugeben, weil sie die starke Arbeitsbelastung nicht mehr bewältigen können – gibt es solche Fälle?
“Ja, die gibt es. Erst mal finde ich es ganz wichtig, dass man den Pflegekräften und Ärzten, die unmittelbar am Krankenbett stehen, Wertschätzung gibt. Aber was man einfach erkennen muss: die Belastung ist immens hoch. Die Frauen und Männer sind in diesem Bereich nach eindreiviertel Jahren erschöpft. Und wenn sie dann krankheitsbedingt noch für Kollegen einspringen müssen, ist die Batterie irgendwann leer.”
Und das sollte bei einem Beruf, der die Gesellschaft so stark mitträgt wie derzeit in vielen Krankenhäusern und Heimen zu sehen ist, einfach nicht sein.
“Man muss aufpassen, dass man das jetzt nicht kaputtredet und kaputtschreibt. Nach bald 40 Jahren Arbeit im Krankenhaus bin ich überzeugt, dass das ein extrem interessanter Ort ist und dass der Beruf der Krankenpflege einer der erfüllendesten Berufe ist, die es gibt.”
Sie haben christlichen Beistand im Haus. Katholische und evangelische Seelsorger für die Patienten, die Angehörigen und die Mitarbeitenden – wie wichtig war das in dieser Zeit?
“Sehr wichtig. Sie sind Teil des Krankenhauses, stehen zwar nicht auf unserer Gehaltsliste, ich finde es aber sehr wichtig, dass es diese Seelsorge in unserem Krankenhaus gibt. Wir sind immer noch eine christliche Gesellschaft und die Seelsorgenden sind sowohl für die Mitarbeitenden als auch für die Patienten da. Wir pflegen ein wunderbares Verhältnis untereinander mit gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Wertschätzung.”
Sie haben einen Wunsch frei für das neue Jahr – was wünschen Sie sich?
“Ich wünsche mir, dass diese Pandemie aufhört und dass wir wieder unsere ganz normale Arbeit machen können. Ich wünsche mir sehr, dass wir die vielen Patienten, deren Behandlung wir aufgeschoben haben, in diesem Jahr gut versorgen können. Und ich wünsche mir, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genug Atem und Ruhepausen haben, um gut arbeiten zu können.”
Herr Nowack — sie haben 2500 Mitarbeitende, die seit zwei Jahren alles geben. Was möchten Sie denen sagen?
“Ich kann allen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nur das größte Lob aussprechen. Was hier geleistet wird, ist herausragend. Stolz ist ein Wort, das ich nicht gerne verwende, ich möchte meinen großen Dank aussprechen. Wir haben es den Mitarbeitenden zu verdanken, dass dieses Klinikum so existiert und so arbeitet.”
Und vielleicht noch ein kritischer Appell an die Gesellschaft?
“Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt. Wir haben Strukturen, die kaum jemand hat. Wir haben Impfstoff, wir haben alle Möglichkeiten. Die Probleme, die wir haben, die hätten andere Länder gerne. Länder in Afrika, die keinen Impfstoff haben, in denen es eine Impfpfote von gerade einmal 0,3 Prozent gibt. Die keine Chance haben, sich zu schützen oder ihre Kranken adäquat zu versorgen. Erinnern wir uns zurück an die Bilder aus Indien zum Jahresbeginn 2021, an das Desaster und das unbeschreibliche Leid. Dagegen leben wir hier in einem Land, in dem wir im Grunde alles haben. Und was tun wir? Wir mäkeln rum. Ich verstehe das nicht. Das ist etwas, das mich zutiefst bedrückt. Anders kann ich das nicht sagen. Manchmal denke ich mir sogar, dass es uns zu gut geht. Wir haben die Verhältnisse, die Relation verloren.”
Ist das ein Punkt, an dem Glaube helfen kann, an dem er eine Bedeutung für Sie hat?
“Ja, die hat er. Es gibt ein schönes Wort von Andre Heller, den ich frei zitiere: Er glaubt nicht, dass Gott für den FC Vatikan oder den FC Klagemauer spielt. Das gefällt mir sehr gut. Ich glaube an einen universellen Gott. Der ist nicht evangelisch oder katholisch. Ich glaube, dass es etwas gibt, das uns trägt und führt. Auch in dieser Zeit. Und gerade im Kleinen, in Begegnungen, die wir vielleicht gar nicht als wichtig oder groß wahrnehmen.”
Interview: Monika Zieringer