Am 3. Mai 1696, am Festtag der Kreuzauffindung, wurde ein Kruzifix mit einer 28 Zentimeter großen Christusfigur, das einst ein Schreinergeselle bei Aufräumarbeiten nach dem 30-jährigen Krieg in zwei Fuß Tiefe völlig verdreckt gefunden hatte, auf Geheiß des Fürsterzbischofs von Salzburg, Johann Ernst Graf von Thun (1687 – 1709), in die Kirche von Tann gebracht.
Das Kruzifix hatte Aufsehen erregt, weil das Haupt- und Barthaar des Gekreuzigten, das aus menschlichem Naturhaar stammt, plötzlich wuchs – ein Vorgang, der sich mehrfach wiederholte, wenn die Haare in den ursprüngliche Zustand zurückgeschnitten wurden. Mehrere, auch bischöfliche Kommissionen, die offiziell zur Überprüfung eingesetzt waren, bestätigten den unglaublichen Vorgang. Die Folge: Immer mehr Menschen kamen, die den „Herrgott von Tann“ verehren wollten. Deswegen sollte das Kruzifix einen leicht zugänglichen Platz in der Kirche finden. Der 3. Mai 1696 war der offizielle Start für eine Wallfahrt, die in ihren besten Zeiten sogar die Anzahl der Pilger übertraf, die zur Schwarzen Muttergottes nach Altötting kamen. Sie besteht heuer seit 325 Jahren.
Freilich hat die Wallfahrt zum „Herrgott von Tann“ ihre Bedeutung mit teilweise 40 000 Pilgern pro Jahr verloren. Sie brach Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts ein als Folge kriegerischer Auseinandersetzungen, vor allem der beiden Weltkriege und der damit verbundenen wirtschaftlichen Rezessionen. In der Neuzeit ist wieder etwas Leben in die Wallfahrtsbewegung eingezogen – durch die Herz-Jesu-Freitage am ersten Freitag im Monat, die den Herrgott von Tann wieder mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken, und das Triduum, das am Freitag bis Sonntag in der 2. Septemberwoche vor dem Fest Kreuzerhöhung mit einer Familien-Wander-Wallfahrt am Samstag und der Sternwallfahrt von den Pfarreien des Pfarrverbandes Tann zum „Herrgott von Tann“ besondere Akzente setzt. Höhepunkt am Sonntag ist heuer im Jubiläumsjahr ein Pontifikalamt mit Diözesanbischof Dr. Stefan Oster – immer unter der Voraussetzung, dass die Corona-Pandemie die Umsetzung ermöglicht.
Eine besondere Verbeugung vor dem Herrgott von Tann
Viele Menschen haben dem wohltätigen Kruzifix in der Wallfahrtskirche in Tann immer wieder und teilweise sogar ein ganzes Leben lang ihre Verehrung entgegengebracht. Sie fühlten sich in schweren Zeiten von ihm getragen und geführt. Von einer derartigen Haltung war auch Maria Prandstätter, geb. Brandstetter, aus Godlham, später Tann, geprägt. Schon mit ihren Großeltern ist sie regelmäßig zum „Herrgott von Tann“ gepilgert „Dieses Kreuz“, sagte sie einmal in einem Zeitungsinterview, „übt eine Faszination auf mich aus. Es hat mir Hilfe gegeben, Gnade und seelische Kraft geschenkt.“
Aus dieser Gesinnung heraus hat sie, die Lieder textete und in Musik setzte, im Jahr 1989 das Wallfahrtsfahrtslied „Herrgott von Tann“ geschrieben und der Pfarrei St. Peter und Paul geschenkt. „Auf diese Weise wollte ich meine Dankbarkeit über die Wallfahrtstage, die von Pfarrern und Pfarrei so wunderbar ausgerichtet werden, zum Ausdruck bringen.“ Maria Prandstätter hat mit diesem Lied, das sie bis zu ihrem Lebensende 2015 mit Brigitte Schiebelsberrger oder Christine Maßberger zweistimmig sang, ein Zeichen gesetzt für Glaubenskraft, Religiosität und christliches Zusammengehörigkeitsgefühl.
Pfarrer Wolfgang Reincke wollte dem gehaltvollen Lied eine noch größere Bedeutung im Bewusstsein der Gläubigen geben und gleichzeitig der Liedschöpferin Maria Prandstätter ein Denkmal setzen. Dabei kam ihm der Gedanke, das Wallfahrtsjubiläum für eine kraftvolle Weiterbelebung der Wallfahrt zu nutzen und auf besondere Weise den Herrgott von Tann um Schutz und Beistand zu bitten, so wie es Maria Prandstätter im Refrain ihres Wallfahrtsliedes, der vom Kirchenvolk gesungen wird, ausgedrückt hat: „Herrgott von Tann, wir bitten dich schön, lass uns zu dir wieder wallfahren gehn. Schenk uns die Kraft, steh uns bei, Herrgott von Tann, deinen Schutz uns verleih.“
Glockenspiel wird viermal am Tag erklingen
Die bisher vorhandenen Glocken werden in einem Festgottesdienst am Herz-Jesu-Freitag am 07. Mai vom Altöttinger Stiftspropst Dr. Klaus Metzl, der von Diözesanbischof Dr. Stefan Oster dafür delegiert wurde, geweiht. Der Gottesdienst, den Dr. Metzl zelebriert, findet um 20 Uhr statt. Voraus geht um 19 Uhr eine Andacht um geistliche Berufungen.
In der Woche nach dem Herz-Jesu-Freitag erhalten die Glocken für das Glockenspiel in der Glockenstube des Kirchturms, wo auch die großen Kirchenglocken hängen, ihren endgültigen Platz. Zum ersten Mal zu hören sind sie zur größeren Ehre Gottes und der Wallfahrt zum „Herrgott von Tann“ an Christi Himmelfahrt oder zu Pfingsten mit dem Wallfahrtslied „Herrgott von Tann“. Alle einprogrammierten Lieder lassen sich per EDV-Programm abrufen. Sie werden mittels elektrisch betriebener Stahlhämmer — Ton für Ton — aus den Glockenmänteln geschlagen. Für das Lied „Herrgott von Tann“ benötigt man sechs Glocken. Die größte Glocke mit 50 Kilogramm (kg) Gewicht ist dem „Herrgott von Tann“ gewidmet, das gesamte Glockenspiel-Ensemble aus 13 Glocken wird 358 kg auf die Waage bringen. Das Bronzematerial der Glocken besteht aus 78 % Kupfer sowie 22 % Zinn.
Das Glockenspiel klingt vornehmlich in Richtung Marktplatz. Viermal pro Tag ist es in Zukunft zu hören: um 9 Uhr mit dem Refrain des Wallfahrtsliedes, um 12 Uhr mit dem vollen Wallfahrtslied, um 15 Uhr wieder mit dem Refrain, außerdem um 19 Uhr mit einem Kirchenlied oder Teil davon aus dem kirchlichen Jahreskreis (Advent, Weihnachten, Fastenzeit, Karwoche, Gottesmutter Maria etc.). Mit dem Glockenspiel verfügt der Markt Tann nach der renovierten Kreuzigungsgruppe auf dem Rahmenberg aus dem Jahr 1890 nunmehr in Kürze über eine zweite bemerkenswerte Einrichtung christlicher Geisteshaltung.
Text: Johannes Schaffarczyk