"Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder, Schwester und Mutter." So sagt Jesus im Evangelium. Christwerdung sei keine Frage der Abstammung; Christ werde man durch die Taufe mit Wasser und Geist, betont Pfarrer Peter Kieweg in seinem Impuls zum 10. Sonntag im Jahreskreis am 9. Juni 2024.
Hinter mir sehen Sie das Innere der Wallfahrtskirche St. Anna bei Ering. Das Kleinod auf der Strecke zwischen Passau und Altötting ist bedeutend in der Vita des Nebenpatrons unseres Bistums, des Heiligen Bruder Konrad. St. Anna war eines der Wallfahrtsziele von Hans Birndorfer, und bei einer großen Volksmission soll er hier seine Entscheidung getroffen haben, in den Kapuzinerorden einzutreten. Was ist ihm hier vor Augen geführt worden?
Ein Heiligtum, das der Mutter Anna geweiht ist, führt uns zur Betrachtung der Menschwerdung Gottes. Der Sohn Gottes wurde Teil einer menschlichen Familie, unter anderem mit Mutter Maria und den Großeltern Joachim und eben Anna. Von seinen Angehörigen ist im Evangelium heute die Rede von Brüdern, womit nach hebräischem, aramäischem und ebenso griechischem Sprachgebrauch auch Verwandte im weiteren Sinn gemeint sein können.
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So vertraut das Bild der drei Generationen hier und anderswo anmutet, so distanziert zeigt sich das Verhältnis von Jesus und seiner Familie im Evangelium. Die Angehörigen wollen ihn mit Gewalt von seiner Wanderpredigt zurückholen, weil er von Sinnen sei. Und als sie vor der Tür stehen und Jesus indirekt aufgefordert wird, doch zu ihnen hinauszugehen, reagiert er ablehnend: „Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?“ Die Einheitsübersetzung überschreibt die Szene mit den Worten „Über die wahre Familie Jesu“, weil Jesus mit Blick auf die im Kreis um ihn Herumsitzenden eine Neudefinition hinterherschickt: „Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“
Es hat eine tiefe Bedeutung, dass Jesus blutsverwandtschaftlich Teil einer Familie geworden ist, wahrer Mensch. Aber Jesus ist zugleich gekommen, um gerade darüber hinauszuführen. Christwerden ist keine Frage von Abstammung. Christ ist man nicht deswegen, weil die Eltern Christen sind. Man wird es durch die Taufe aus Wasser und Geist, was jedem Menschen offensteht. Wer in St. Anna bei Ering eintritt, atmet, so sagen viele, eine besondere Atmosphäre, ein Gefühl von Daheim, ja, ein Gefühl von Familie, das sich in Anna, Maria und Jesus zeigt – aber nicht als abgeschlossene Einheit „Du kommst hier nicht rein“, sondern als offene Einladung: „Werde Teil dieser Familie.“
Peter Kieweg
Pfarrer im Pfarrverband Ering a.I.