Die großen Themen aus Kirche/Weltkirche und Politik standen auf der Agenda des ersten Tags in Niederalteich: Frühjahrs-Vollversammlung des Diözesanrats Passau mit Bischof Stefan Oster. Es ging zentral um die bevorstehende Europawahl, den pastoral-strukturellen Erneuerungsprozess, die MHG-Studie mit ihren Konsequenzen, die Jugendsynode 2018 in Rom (Ergebnisse) und die sog. Gemeinwohlökonomie (als Teil der Nachhaltigkeitsstrategie im Bistum). Hier ein kleiner Einblick in den spannenden Auftakt der Vollversammlung in Niederalteich von Stefanie Hintermayr:
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„Europas Zukunft ist unsere Zukunft – Umbrüche und Aufbrüche in Europa!“ – unter diesem Leitgedanken stand die diesjährige Frühjahrsvollversammlung des Diözesanrats in der Landvolkshochschule St. Gunther in Niederalteich am vergangenen Wochenende. „Wir erhoffen uns, dass diese Versammlung die europäischen Themen in Erinnerung ruft, sich viele Menschen damit befassen und dann auch zur Wahl gehen“, sagte Diözesanratsvorsitzender Markus Biber. Das Tagungsprogramm bot den Teilnehmern die Chance, sich umfangreich unter verschiedenen Aspekten und in unterschiedlichen Varianten mit Europa auseinanderzusetzen. Zunächst aber stand der Konferenzteil auf dem Programm. Die wichtigsten Themen und Entwicklungen im Bistum Passau und in der Weltkirche wurden angesprochen. Nach dem Bericht des Vorsitzenden Biber gab Generalvikar Dr. Klaus Metzl einen Überblick zum aktuellen Stand beim pastoral-strukturellen Erneuerungsprozess, und hier speziell zu den Verwaltungszentren. Die BDKJ-Diözesanvorsitzende Johanna Haslböck berichtete über die Ergebnisse der Jugendsynode 2018 in Rom. Und schließlich das Wort des Bischofs Dr. Stefan Oster SDB. Er erzählte von den Visitationen, die vor Kurzem gestartet sind und bisher gut laufen würden. Zur MHG-Studie erklärte er, wie und mit welchen Maßnahmen es jetzt konkret weitergeht. Insbesondere auf die Beschlüsse der Bischofskonferenz, die kürzlich in Lingen getagt hatte, ging Oster ein, er sprach aber ebenso über den aufgestellten Verhaltenskodex des Bistums Passau. Es folgte eine kurze Diskussionsrunde, bevor ab dem Abend das Tagungsthema „Europa“ in den Mittelpunkt rückte.
Der erste Studienteil bestand aus einer Podiumsdiskussion mit drei Politikern. Die Diskutanten: Bernd Posselt von der CSU, der 20 Jahre lang Europaabgeordneter war, vor fünf Jahren den Wiedereinzug ins Europäische Parlament knapp verpasst hatte und nun erneut kandidiert, die niederbayerische Grünen-Landtagsabgeordnete Rosi Steinberger sowie SPD-Europakandidat Maximilian Ditmer aus Eching nahe Landshut. Angeleitet von Moderator Stefan Gabriel, Regionalleiter Deggendorf der Donau-Isar-Bayerwald-Presse-GmbH, widmeten sie sich verschiedenen Schwerpunktfragen. Die erste: Wie kann populistischer, nationalistischer Meinungsbildung entgegengewirkt werden? Posselt zeigte sich davon überzeugt, dass das Erzählen von Europa und ein emotionales Vermitteln der europäischen Idee sehr wichtig seien. „Man darf aber nicht nur erklären. Es darf nicht nur eine Sache des Verstandes sein, Europa muss auch eine Sache des Herzens sein.“ In Schulen könne man so sehr gut junge Menschen erreichen. Zudem sprach er sich dafür aus, Nationalismus und Nationalpopulismus offensiv zu stellen. „Mit diesen Kräften darf man absolut nichts zu tun haben, man muss sie entlarven. Wir haben es mit einem professionellen Kampf gegen Europa zu tun. Den müssen alle demokratischen Parteien gemeinsam aufnehmen.“ Auch Rosi Steinberger machte sich dafür stark, insbesondere junge Menschen mehr mitzunehmen und beispielsweise Programme zum internationalen Jugendaustausch verstärkt zu fördern. Maximilian Ditmer appellierte dagegen an jeden einzelnen. „Jeder von uns ist als Demokrat und Christ verpflichtet, gegen diese Strömungen aufzustehen.“ Bei der Frage, wie Europa sozialer und gerechter werden könne, waren sich die Diskutanten einig, dass es derzeit große Ungerechtigkeiten innerhalb Europas gebe, und zwar gerade in Bezug auf das Einkommen oder Arbeitnehmerrechte. „Es ist ein großer Auftrag für Europa, da einen Ausgleich zu schaffen“, sagte Steinberger. Sie sprach sich – unter Zustimmung der anderen beiden Politiker – unter anderem für die Einführung europaweiter Mindestlöhne aus. Posselt führte bei dieser Frage zudem das Thema der Jugendarbeitslosigkeit an, die in einigen Ländern der EU immer noch nicht zufriedenstellend bekämpft worden sei. „Wir müssen die Jugendarbeitslosigkeit in den Ländern selbst bekämpfen und innerhalb Europas versuchen, jungen Europäern eine Perspektive zu geben“, so Posselt. Vor der „Illusion“, in absehbarer Zeit in ganz Europa gleichartige Lebensverhältnisse zu haben, warnte er ausdrücklich.
Nach der Podiumsdiskussion am Freitagabend wurde die Frühjahrsvollversammlung am Samstagvormittag mit dem zweiten Studienteil fortgesetzt. Zunächst stand ein Impulsvortrag von Prof. Dr. Ingeborg Gabriel, Professorin für Christliche Gesellschaftslehre und Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, auf dem Programm. „Es geht mir darum, Ihnen Impulse zu geben, die meinem gegenwärtigen Wissen entsprechen. Obwohl ich mich nämlich ziemlich viel mit den Themen beschäftige, würde ich nicht sagen, dass ich endgültige Antworten habe. Und das ist gleich eine Kritik an gewissen Diskursen, die gegenwärtig in Europa laufen und die immer mit ganz fertigen Antworten operieren. Die lassen sich angesichts der rasanten Umbrüche, in denen wir stehen, und die eine politische und ethische Orientierung eindeutig erschweren, so nicht geben“, beschrieb sie ihr Anliegen. Vor dem Hintergrund der Prinzipien der katholischen Sozialethik, dem Solidaritäts- und Gemeinwohlprinzip, beleuchtete sie die Situation in Europa, stellte dabei fest, dass ihrer Einschätzung nach eine Orientierungskrise vorliege, und nahm die Kirche in die Pflicht. „Wir müssen Europa noch einmal tiefer begründen. Zu glauben, dass die Aussöhnung ein für alle Mal geleistet ist, wäre ein Fehler. Gerade hier können die Kirchen sehr viel beitragen. Den Kirchen ist das Evangelium von der Versöhnung aufgetragen und es ist die Frage, was das heute bedeutet“, so die Professorin. Sie stellte zudem heraus, dass sich Nationalismus und das christliche Evangelium fundamental widersprechen würden. „Das ist auch in manchen katholischen Kirchen nicht so leicht zu sagen, zum Beispiel in der kroatischen“, so Gabriel. Ihre Folgerung: „Wir brauchen heute viele Friedensinitiativen unter dem Vorzeichen der Versöhnung, die sich gegen nationalistische Tendenzen stellen und Brücken in diese Regionen hinein bauen. Wenn es stimmt, dass wir es mit einer Orientierungskrise zu tun haben, wäre das eigentlich der Kairos der Kirchen, insbesondere der katholischen Kirche. Es ist wirklich zu überlegen, wie wir Orientierung geben können und der unterschwelligen Hoffnungslosigkeit und Resignation entgegentreten können. Denn das, was wir heute spüren, ist ein Mangel an Hoffnung.“ Das alles seien natürlich hohe Anforderungen – „aber ich meine, dass das Christentum hier einiges an Potential hat.“
Derart eingestimmt ging es für die Teilnehmer der Frühjahrsvollversammlung in den dritten Studienteil. In Gruppen wurden im Beisein von Experten vier Themen diskutiert. Beispielsweise wurde die Frage, wohin sich Europa entwickelt, erneut aufgegriffen und um den Gedanken ergänzt, was Räte und Verbände tun können, um demokratische Grundwerte zu stärken. Die zentralen Ergebnisse der Gruppe wurden mit „Das Friedensprojekt Europa retten und die Debatte nicht scheuen“ sowie „Nicht auf Europa warten, sondern hingehen“ zusammengefasst. Eine zweite Gruppe beschäftigte sich mit der Frage, wie ein nachhaltiges Wirtschaften in Europa gefördert werden kann, das die Schöpfung im Sinne von Laudato si bewahrt und dem Gemeinwohl dient. Auch den Fragen „Wie können wir uns einsetzen für ein soziales und gerechtes Europa? Welche Schritte und gesetzlichen Regelungen erachten wir als notwendig? Wie können wir dazu den inhaltlichen Austausch und die Zusammenarbeit mit Partnern in Nachbarländern ausbauen und fördern?“ gingen die Teilnehmer gemeinsam auf die Spur. Die vierte Gruppe beschäftigte sich mit den Zivilgesellschaften, deren Stärkung in den europäischen Ländern eine wichtige Basis für Demokratie und Solidarität ist. Auf Basis der erarbeiteten Themen wurde schließlich einstimmig die Annahme eine Erklärung des Diözesanrats unter dem Motto „Europas Zukunft ist unsere Zukunft“ beschlossen. Darin ruft der Diözesanrat zur Beteiligung an der Europawahl auf. Die Erklärung endet mit den Worten: „Der Ausgang der Wahl wird Auswirkungen auf die Bedingungen des zukünftigen Zusammenlebens der Menschen in Europa und die politische Ausrichtung Europas in der Welt haben. Senden wir mit unserer Stimme ein klares Signal für ein demokratisches, weltoffenes und solidarisches Europa.“
Text: Mareen Maier
Fotos: Stefanie Hintermayr/Mareen Maier