Das Interview mit Bischof Stefan Oster zum Verhaltenskodex:
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Warum ein Verhaltenskodex?
Bischof Oster: „Die deutschen Bischöfe haben sich schon 2013 gemeinsam darauf verpflichtet, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch die Ehrenamtlichen in der Wahrnehmung zu sensibilisieren, wie sexuelle Übergriffigkeit und Gewalt entsteht; wie es schon im Kleinen beginnen kann, etwa bei unangemessenen Worten, Gesten, Berührungen. In ihrer Rahmenordnung fordern die Bischöfe daher Verhaltenskodices und Schutzkonzepte, die präventiv wirken und eine Kultur der Achtsamkeit im Blick auf die uns anvertrauten Menschen fördern. Diese Anforderungen an uns selbst haben wir nun formuliert.“
Auf Anweisung von Bischof Dr. Stefan Oster SDB hat die Passauer Stabstelle Prävention, die dem Generalvikar zugeordnet ist, einen Verhaltenskodex verfasst, der eine Orientierung für adäquates Verhalten geben und einen Rahmen schaffen soll, der Grenzverletzungen, sexuelle Übergriffe und Missbrauch in der kirchlichen Arbeit verhindern helfen soll. Die Regeln wurden von Generalvikar Dr. Klaus Metzl in Kraft gesetzt und gelten verbindlich für alle haupt- und nebenberuflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie ehrenamtlich Tätigen der Diözese Passau. Sie thematisieren nicht nur die bewusste Gestaltung des gemeinsamen Miteinanders, sondern auch das angemessene Verhalten in bestimmten Situationen, sei es im Alltag oder in Ausnahmeaktionen wie zum Beispiel dem Ferienlager oder bei Freizeitaktivitäten.
Kultur des achtsamen Miteinanders
Bischof Oster: „Der Ausgangspunkt für all unser Verhalten gegen Schutzbefohlene ist immer deren Würde. Sie sind nach unserem Menschenbild zuerst Personen, Ebenbilder Gottes, die unsere Achtung verdienen – und nie einfach nur „Objekte“ unseres Handelns, an denen wir zum Beispiel selbstherrlich unsere Macht ausagieren.”
Das Bewusstsein einer unantastbaren Würde von Personen ist die Voraussetzung für den angemessenen und professionellen Umgang mit Nähe und Distanz, der Verantwortliche jeweilige Situationen richtig einschätzen und die berechtigten Bedürfnisse des anderen achten lässt. Dazu gehört auch eine kritische Prüfung des eigenen Umgangs mit Macht, die sich nicht nur in Expertenwissen, der Gestaltung der Arbeitsweise, in (innerem) Widerstand, sondern auch in der Informationsweitergabe bzw. –verweigerung zeigt.
Die sechs verbindlichen Verhaltensregeln
- Meine Arbeit mit den mir anvertrauten Kindern und Jugendlichen ist geprägt von Wertschätzung und Vertrauen. Ich achte ihre Rechte und ihre Würde. Ich stärke sie, für ihr Recht auf seelische und körperliche Unversehrtheit wirksam einzutreten. Mein Gegenüber spürt meinen Respekt und meine Achtung.
- Ich gehe verantwortungsbewusst und achtsam mit Nähe und Distanz um. Ich respektiere die Intimsphäre und die persönlichen Grenzen der mir Anvertrauten. Mir ist meine besondere Vertrauens- und Autoritätsstellung gegenüber den mir anvertrauten Kindern und Jugendlichen bewusst. Ich gehe ohne Vorbehalte, ohne Denkmuster und Schubladen auf sie zu und vermeide sie zu be- oder verurteilen.
- Ich handele nachvollziehbar und ehrlich. Beziehungen gestalte ich transparent und nutze keine Abhängigkeiten aus. Meine Kommunikation in Worten und Gesten ist wertschätzend und förderlich.
- Ich toleriere weder diskriminierendes, gewalttätiges noch grenzüberschreitendes sexualisiertes Verhalten in Wort oder Tat. Ich beziehe dagegen aktiv Stellung. Nehme ich Grenzverletzungen wahr, leite ich die notwendigen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen ein.
- Ich informiere mich über die Verfahrenswege und die Ansprechpartner im Bistum Passau, und hole mir bei Bedarf Beratung und Unterstützung.
- Ich bin mir bewusst, dass jegliche Form von sexualisierter Gewalt gegenüber den mir anvertrauten Kindern und Jugendlichen disziplinarische, arbeitsrechtliche und gegebenenfalls strafrechtliche Folgen hat.
Um ein adäquates Verhältnis von Nähe und Distanz zu schaffen, sind herausgehobene, intensive freundschaftliche Beziehungen mit Minderjährigen sind zu unterlassen, die sich etwa in gemeinsamen Urlauben oder regelmäßigen privaten Einladungen ausdrücken. Abweichungen von der Regel aus guten Gründen bedürfen einer hohen Transparenz. Vor körperlichen Berührungen muss nach dem Einverständnis gefragt werden – unerwünschte Berührungen und körperliche Annäherung, insbesondere in Verbindung mit dem Versprechen einer Belohnung oder Androhung von Strafe sind verboten. Der Umgang mit Geschenken ist reflektiert und transparent handzuhaben. Worte sollen sorgfältig gewählt werden, Kosenamen, sexistische Sprüche, Fäkaliensprache, Zynismus und Verniedlichungen sind zu vermeiden. Nicht erlaubt sind außerdem Mutproben, Übernachtungen von Minderjährigen in Privatwohnungen von kirchlichen Mitarbeitern sowie gemeinsames Duschen, etwa in der Schwimmhalle.
Der Verhaltenskodex in der Praxis
Bischof Oster: „Ich glaube, es geht hier nicht um die „Schere im Kopf“, die mir suggeriert: Jetzt darf ich gar nichts mehr. Im Gegenteil: Es geht um eine höhere Sensibilität für den Anderen, um den Respekt – der dann auch in größere Tiefe und innere Nähe führen kann. Denn eine „Kultur der Achtsamkeit“ verhindert, dass ich allzu schnell meine eigenen Bedürfnisse auf den anderen übertrage – und ihn dann eher benutze als ihm diene.”
Der Verhaltenskodex geht auch auf den Umgang mit Medien und sozialen Netzwerken ein. So wird eine sorgsame, altersadäquate und pädagogisch sinnvolle Auswahl von Filmen, Fotos, Spielen und Materialien angemahnt. Filme, Computerspiele oder Druckmaterial mit pornografischen Inhalten sind in allen kirchlichen Kontexten verboten. Die Nutzung von sozialen Netzwerken im Kontakt mit Minderjährigen ist nur im Rahmen von besonders definierten und schriftlich fixiertem Kontext gestattet. Ausnahmeregelungen sind den Präventionsbeauftragten vorzulegen und vom Generalvikar zu genehmigen. Bezugspersonen und Verantwortliche sind dazu angehalten, gegen jede Form von Diskriminierung, gewalttätiges oder sexistisches Verhalten und Mobbing Stellung zu beziehen. Stets ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht, insbesondere das Recht am eigenen Bild zu beachten.
Für die Inhalte des Verhaltenskodex sollen die Mitarbeiter vor allem durch die verpflichtenden Schulungen mit den Präventionsbeauftragten des Bistums sowie mit weiteren Experten sensibilisiert werden. Diese Schulungen werden nun auch auf mehrere tausend ehrenamtlich mit Kindern und Jugendliche Tätige ausgeweitet.
Und wenn etwas passiert? „Mögliche Sanktionen bei einmaligen oder wiederholten Grenzverletzungen bestimmen sich grundsätzlich nach den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalles und unterscheiden sich demnach immer nach der jeweiligen Ausgangssituation“, sagt Genearalvikar Dr. Klaus Metzl. So wären im Bereich von haupt- oder nebenamtlichen Mitarbeitern sicherlich sämtliche arbeitsrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten zu prüfen, ungeachtet der strafrechtlichen Relevanz des Verhaltens, welches in allen Fällen zu prüfen ist. „Weitere Sanktionsmöglichkeiten für Kleriker ergeben sich aus dem Kirchenrecht, welche dann gegebenenfalls noch hinzutreten können“, so Metzl.
Achtsamkeit verändert
Bischof Stefan Oster hofft freilich, dass es mit dem Verhaltenskodex immer weniger zu Sanktionen kommen muss: „Ziel sind ja nicht Sanktionen, Ziel ist der aufmerksame, gute Umgang miteinander!“