Der Sachausschuss Bildung und Erziehung des Diözesanrats im Bistum Passau hat die Thematik „Digitalisierung“ als eines seiner Schwerpunkte in der aktuellen Amtsperiode gewählt. In mehreren Veranstaltungen setzten sich die Teilnehmer des Sachausschusses mit der Situation und den Auswirkungen der Digitalisierung in Erziehung und Bildung auseinander. „Digitalisierung ist ein Faktum. Sie verändert unser Leben und das unserer Kinder und durchdringt auch die Schule“, stellte der Vorsitzende des Sachausschusses Anton Gschrei fest. Notwendig sei es daher, unsere Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu begleiten.
Der ärztliche Direktor der Kinderklinik in Passau Prof. Dr. Matthias Keller beschäftigte sich in seinen Ausführungen vor dem Sachausschuss Bildung und Erziehung vor allem mit dem Einsatz von digitalen Medien bei Kindern unter 5 Jahren und welche Auswirkungen ein solcher Einsatz hat. Keller betonte, es sei wichtig, erst einmal die Grundsatzfrage zu stellen: Wo wollen wir hin? Was wollen wir mit dem Einsatz von Tablets und Smartphones erreichen? Was braucht die Gesellschaft? Welche Persönlichkeitsstrukturen, die jetzt in unseren Kindern grundgelegt werden müssen, braucht unsere Gesellschaft zukünftig – für Kompetenz, Fachlichkeit, Selbstreflexion, Entwicklung von Problemlösungsstrategien, Demut, Nachhaltigkeit, Frustrationstoleranz, Innovationsfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein?
Keller warnte vor dem Trugschluss: „Wenn wir später Menschen brauchen, die mit Verantwortung Medien steuern, brauchen wir heute digitalisierte Kinder.“ Forschungen und Beobachtungen belegten das Gegenteil: Kinder mit hoher Mediennutzung bewegten sich weniger, werden eher fettleibig, sind weniger konzentriert. Es gebe keinen wissenschaftlichen Grund für die Mediennutzung bei Kleinkindern. Tablets im Kindergarten seien Blödsinn. Im Alter von 3 – 5 Jahren werden die Grundlagen im Gehirn gelegt für Denkprozesse, Wissenserwerb, Assoziation, Sprachentwicklung, Abstraktionsvermögen. Kinder müssten Erfahrungen machen. Begriffe wie „spitz, scharf, heiß, kalt, …“ seien zunächst abstrakt und müssten mit Erfahrungen verbunden werden. Das was ich assoziiere, muss vorher erfahren und erlernt werden. Motorisch gute Kinder sind in der Schule besser. Kinder lernten durch Erfahrung und Imitation. Lernen brauche Emotion und ein menschliches Gegenüber. Die frühe und vor allem übermäßige Nutzung von Medien bis zum Alter von 5 Jahren sei da kontraproduktiv. Medien dürften nie zur Beruhigung von Kindern eingesetzt werden.
Aufgabe und oberster Auftrag der Kita und des Kindergartens sei es den Kindern Zuwendung zu geben und nicht die Mediennutzung. Wichtig seien Fürsorge, Spielen mit den Kindern, Umgang mit Emotionen lernen, Empathie zeigen, Sozialkompetenz entwickeln. Dieser Auftrag ist für die Kita ähnlich wie für das Elternhaus. Nicht das Wischen auf dem Tablett fördere die Kinder, sondern das Schreiben mit der Hand. Kinder brauchen motorische Schleifen, betonte der Ärztliche Direktor der Kinderklinik Prof. Matthias Keller. Digitalisierung sei nicht zu lernen, es müsse gelernt werden mit der Digitalisierung umzugehen. Die jetzige Elterngeneration sei mit der Situation einer zunehmend digitalisierten Welt konfrontiert worden und habe es in der Mehrheit nicht gelernt verantwortungsvoll damit umzugehen. Kinder lernten am Beispiel und das, was sie bei ihren eigenen Eltern erleben würden, sei oftmals nicht hilfreich zur Entwicklung einer Medienkompetenz.
Kinder und Lehrer müssen auch in der digitalen Schule im Mittelpunkt stehen
KEG-Vorsitzender Erwin Müller und BLLV-Vorsitzende Judith Wenzl setzten sich in einer weiteren Veranstaltung kritisch mit der Entwicklung der digitalen Schule auseinander. Digitalisierung müsse dem Menschen dienen, waren sich Wenzl und Müller einig. Nach Ansicht des KEG-Vorsitzenden Erwin Müller stehe für Christen das Kind im Mittelpunkt. Es müsse daher die Frage lauten: „Was braucht das Kind?“ Und aus christlicher und pädagogischer Sicht ist die Antwort klar. Kinder brauchen Verbundenheit und Sicherheit. Kinder wollen Menschen als Begleitung und keine Tablets. Keine App könne den Menschen ersetzen, stellte Müller fest. Eine Antwort auf die Digitalisierung könne die „gelbe Schule“ sein, die an der Schule in Plattling umgesetzt werde. Dabei komme es vor allem auf die Haltung der Lehrer an. Damit beispielsweise digitale Medien positiv wirken könnten, müssten diese von persönlichkeitsbildenden Maßnahmen bei den Lehrern begleitet sein. Eine gute digitale Ausstattung von Schulen sei wichtig, aber die digitalen Medien dürften keinen Selbstzweck haben, sondern müssten den Erziehungs- und Bildungsprozess unterstützen. Müller betonte auch die Bedeutung der Eltern für die Medienerziehung.
Die BLLV-Vorsitzende Judith Wenzl stellte fest, dass die Digitalisierung mittlerweile alle Lebensbereiche von der Technik, der Wirtschaft, der Kommunikation und auch die Schule durchdringe. Digitalisierung sei grundsätzlich wertfrei, es komme allerdings auf ihre Anwendung an. Die bisherige Forschung weise darauf hin, dass die digitalen Programme nicht per se eine höhere Bildungsqualität bewirkten. Deshalb müssten die technologischen Möglichkeiten dem pädagogischen Konzept untergeordnet werden. Die derzeitigen digitalen Lernprogramme seien von sehr unterschiedlicher Qualität. Es müsse von Experten ein Gütesiegel erarbeitet werden. Notwendig sei eine entsprechende Einbettung in ein pädagogisches Konzept, forderte Judith Wenzl. Auch die Ausbildung der Lehrer sei in diesem Bereich noch rudimentär. Es reiche nicht, Geräte und Software zur Verfügung zu stellen, die Lehrer müssten auch damit umgehen können. In der beschleunigten digitalen Zeit brauche es eine Bildung für Herz, Kopf und Hand. Schon Kindergartenkinder beherrschten das Wischen am Handy, könnten aber nicht mit einer Schere umgehen. Der BLLV lege daher großen Wert auf das Schreiben mit der Hand. Schreiben mit Hand, Stift und Papier fördere die kognitive Entwicklung des Kindes. Ein weiterer Aspekt, so Wenzl, sei die Medien- und Werteerziehung. Die meisten Kinder und Jugendlichen bewegten sich bereits in der digitalen Welt. Und diese Welt ist nicht nur mit Chancen, sondern auch mit Gefahren verbunden. Es sei daher auch Aufgabe der Schule, sich mit den Jugendlichen über den ethischen Aspekt der Digitalisierung auseinanderzusetzen, stellte die BLLV-Vorsitzende fest. Wichtig sei hier eine enge Zusammenarbeit mit den Eltern.
In der Diskussion zeigte sich Übereinstimmung, dass die Förderung der digitalen Kompetenz wichtig sei, aber vor allem die Persönlichkeit des Kindes im Mittelpunkt stehen müsse. Der leitende Arzt des Sozialpädiatrischen Zentrums Dr. Christian Schropp berichtete, dass der Medienkonsum, vor allem durch das Smartphone zu Schlafmangel, Kopfschmerzen und Aufmerksamkeitsstörungen bei Kindern führe. Das Handy sollte daher auf keinen Fall am Bett sein. Kinder- und Jugendarzt Dr. Peter Seidl stellte fest, dass viele Eltern verunsichert seien. Viele Eltern haben kaum Medienerziehungskompetenz. Notwendig sei daher eine Elternbildung. Die Frage sei allerdings, wie erreiche man sie?
Rudi Lentner vom Religionspädagogischen Seminar erläuterte, dass in der Lehrerausbildung der gute Unterricht im Vordergrund stehe. Das Thema „Kritischer Umgang mit den neuen digitalen Medien“ sei allerdings noch ausbaufähig. Viele Seminarleiter müssten sich selbst erst in die Thematik einarbeiten. Eine wichtige Säule in der Lehrerausbildung sei allerdings die Lehrerpersönlichkeit. Für ihn sei es ein Ziel in der Lehrerausbildung dem Strom der Zerstreuung etwas entgegenzusetzen. Dazu gehöre, so Lentner, eine Spiritualitätsdidaktik, die Achtsamkeit schule und Stille ermögliche. Nach Ansicht von Erdmute Fischer könnte gerade die Schulpastoral durch verschiedene Gesprächsangebote für Schüler eine analoge Ergänzung zu den digitalen Medien darstellen. Das anspruchsvolle Gespräch und der Austausch über existentielle Lebensfragen könne auch der beste Computer nicht ersetzen, sagte die Referentin für Schulpastoral Erdmute Fischer.
BLLV-Vorsitzende Judith Wenzl und KEG-Vorsitzender Erwin Müller sprachen sich übereinstimmend gegen eine Verweigerung von Digitalisierung aus. Allerdings dürfe es auch keine unkritische Übernahme jeder Neuerung geben. Im Mittelpunkt müsse die Person stehen, die Person des Schülers und die Person des Lehrers. Wenzl und Müller wünschten eine engere gesellschaftliche Zusammenarbeit von Kirche, Eltern, Pädagogen, Kinder- und Jugendärzten, damit unsere Kinder nicht nur in künstlichen, virtuellen Welten aufwachsen, sondern zu stabilen Persönlichkeiten heranwachsen können.
Text und Foto: Anton Gschrei