Bistum

Sexualethik im Umbruch

Redaktion am 27.03.2023

Dioezesanrat Foto: Wolfgang Krinninger
Welche Antworten hat die Kirche auf Fragen der sexuellen Identität und der sexuellen Orientierung? Einige davon gab Moraltheologe Bernhard Bleyer bei der Diözesanrats-Vollversammlung.

Die katholische Sexuallehre weicht von der gelebten Realität der Menschen stark ab. Was sagt eigentlich die Bibel zu Fragen der sexuellen Identität und der sexuellen Orientierung? Über den aktuellen Forschungsstand informierte der Moraltheologe Bernhard Bleyer bei der Vollversammlung des Diözesanrats der Katholiken im Bistum Passau.

Wir erwar­ten von euch nichts mehr!“ Die­ser Satz von schwu­len und les­bi­schen Freun­den und Bekann­ten muss­te sich Hans-Peter Eggerl mehr als ein­mal anhö­ren. Mit euch“ sind Mit­ar­bei­ter der katho­li­schen Kir­che gemeint, Men­schen wie er. Die­ser Satz schmerzt und macht deut­lich, wie groß die Kluft zwi­schen der Kir­che und den Men­schen ist, die sich unter dem Begriff Que­er“ fin­den, also les­bi­sche, schwu­le, bige­schlecht­li­che, trans­ge­schlecht­li­che oder inter­ge­schlecht­li­che Men­schen. Und die­ser Satz macht auch deut­lich, wie wich­tig und über­fäl­lig Eggerls Auf­ga­be ist: Er ist der ers­te Que­er-Seel­sor­ger im Bis­tum Pas­sau und einer der ers­ten in Bay­ern, der mit einem gan­zen Jah­res­pro­gramm auf­war­ten kann. Was er macht, wie (überlebens)wichtig die Geschlechts­iden­ti­tät für die Ent­wick­lung eines Men­schen ist, was die Begrif­fe bedeu­ten – all das erläu­ter­te er bei der Voll­ver­samm­lung des Diö­ze­san­rats im Haus der Begeg­nung Hei­lig Geist in Burghausen.

IMG 1867 Foto: Wolfgang Krinninger

Katho­li­sche Sexu­al­ethik im Umbruch!?“ war der Stu­di­en­teil bei der Tagung über­schrie­ben, an der am ers­ten Tag auch Bischof Ste­fan Oster und Gene­ral­vi­kar Josef Ede­rer teil­nah­men. Wor­um es geht, mach­te Diö­ze­san­rats­vor­sit­zen­der Mar­kus Biber bereits in der Ein­la­dung deut­lich: Die katho­li­sche Sexu­al­ethik wei­che seit gerau­mer Zeit so weit von der geleb­ten Rea­li­tät ins­be­son­de­re jun­ger Men­schen ab, dass kaum jemand sich damit befasst oder die­se lebt. Auch Fra­gen zur geschlecht­li­chen Iden­ti­tät oder zur sexu­el­len Ori­en­tie­rung könn­ten damit nur noch schwer­lich beant­wor­tet werden. 

Einer frei­lich hat­te Ant­wor­ten: Bern­hard Bley­er, Inha­ber des Lehr­stuhls Theo­lo­gi­sche Ethik an der Uni­ver­si­tät Pas­sau, mach­te in zwei span­nen­den Vor­trä­gen deut­lich, wo die Moral­theo­lo­gie bei den The­men geschlecht­li­che Iden­ti­tät und sexu­el­le Ori­en­tie­rung steht. Dabei ging er vom Lehr­amt aus und erklär­te, wie die For­schung heu­te den Kern des Schöp­fungs­be­richts (Gen 1,27) und alle wei­te­ren rele­van­ten Bibel­stel­len ein­ord­net. Wir müs­sen uns dar­um bemü­hen, die bibli­schen Tex­te zu ver­ste­hen, das ist zen­tral für die Theo­lo­gie“, beton­te er. 

Dabei sei die Theo­lo­gie immer auf den Dia­log mit den Wis­sen­schaf­ten ange­wie­sen. Wir kön­nen kei­ne Anthro­po­lo­gie gegen natur­wis­sen­schaft­li­che Fak­ten ent­wi­ckeln.“ Bley­ers Fazit beim The­ma Geschlech­ter­iden­ti­tät: Es gibt männ­lich und weib­lich und es gibt Über­gän­ge und For­men, die sich nicht der Zwei­ge­schlecht­lich­keit zuord­nen las­sen. Wel­che Fra­gen sich dadurch für Theo­lo­gie (etwa für die Pries­ter­wei­he) und die Pas­to­ral erge­ben, ste­he auf einem ganz ande­ren Blatt. Dar­auf gebe es kei­ne ein­fa­chen Ant­wor­ten. Man muss der Theo­lo­gie einen Lern­pro­zess zuge­ste­hen. Ich weiß nicht, was das alles für die Zukunft heißt, aber ich weiß, dass wir es nicht negie­ren dür­fen“, so Bleyer.

Auch im zwei­ten Impuls­vor­trag Lie­be und tu was Du willst – wirk­lich? Was meint sexu­el­le Ori­en­tie­rung?“ erläu­ter­te der Pas­sau­er Moral­theo­lo­ge zunächst die Posi­ti­on des Lehr­amts, in dem Fall vor allem die Erklä­rung Per­so­na huma­na der Kon­gre­ga­ti­on für die Glau­bens­leh­re aus dem Jahr 1975 und den Kate­chis­mus der katho­li­schen Kir­che. Zen­tra­le Fra­ge: Geben die Bibel­stel­len nach dem heu­ti­gen Stand der For­schung her, was da drin steht?
Die alt­ori­en­ta­li­sche Welt und auch die grie­chisch-römi­sche Anti­ke ken­nen weder dem Begriff noch der Sache nach Homo­se­xua­li­tät als Sexua­li­tät und Iden­ti­tät inte­grie­ren­des Per­sön­lich­keits­kon­zept“, zitiert Bley­er Tho­mas Hie­ke. Der homo­se­xu­el­le Geschlechts­akt zwi­schen Frau­en wer­de in der Bibel nir­gends ein­deu­tig the­ma­ti­siert. In den Evan­ge­li­en gebe es kei­ne Stel­le, die sich mit der mora­li­schen Bewer­tung von Homo­se­xua­li­tät aus­ein­an­der­setzt. Bley­ers Fazit: Die vom Lehr­amt ange­führ­te bibli­sche Fun­die­rung und der Ver­stoß gegen das natür­li­che Sit­ten­ge­setz wei­sen exege­ti­sche und logisch-argu­men­ta­ti­ve Defi­zi­te auf“. Es gebe kei­ne ein­zi­ge Stel­le, die recht­fer­ti­ge, dass der Hei­li­ge Stuhl homo­se­xu­el­le Hand­lun­gen ver­ur­teilt. Der bibli­sche Befund sei hier enorm robust“. 

Mit die­ser Ana­ly­se sei noch kei­ne umfas­sen­de theo­lo­gisch-ethi­sche Bewer­tung der gleich­ge­schlecht­li­chen Lebens­form erfolgt. Doch klar sei: Die homo­se­xu­el­le Ori­en­tie­rung stel­le eine Norm­va­ri­an­te mensch­li­cher Lie­bes­fä­hig­keit dar. Und vor die­sem Hin­ter­grund sieht Bley­er auch kei­nen theo­lo­gi­schen Grund, homo­se­xu­el­le Part­ner­schaf­ten nicht zu seg­nen.“
Für ihn stellt sich auch die Fra­ge, ob auf dem heu­ti­gen Stand der wis­sen­schaft­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung nicht das Ver­ständ­nis von dem, was natür­lich“ ist, wei­ter gedacht wer­den muss als bis­her und ob wirk­lich der Fort­pflan­zung die ent­schei­den­de mora­li­sche Bedeu­tung zukom­men soll und nicht auch den ande­ren Sinn­di­men­sio­nen wie Bezie­hung, Lust und Identität. 

Dass Bern­hard Bley­er mit sei­nem Vor­trag das Publi­kum erreicht hat­te, beleg­ten vie­le Wort­mel­dun­gen im Anschluss. Bir­git Gei­er aus dem geschäfts­füh­ren­den Vor­stand mach­te deut­lich, dass der Moral­theo­lo­ge ihren Blick gewei­tet habe. Ein Pries­ter erklär­te, dass es auch in sei­nem Berufs­stand wich­tig wäre, über den aktu­el­len For­schungs­stand infor­miert zu wer­den. Und auch Diö­ze­san­rats­vor­sit­zen­der Mar­kus Biber zog nach zwei inten­si­ven Voll­ver­samm­lungs­ta­gen ein durch­wegs posi­ti­ves Fazit. Die Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer hät­ten viel erlebt und viel Neu­es erfah­ren. Die lehr­amt­li­chen Aus­sa­gen zur Geschlech­ter­iden­ti­tät sei­en nicht mehr halt­bar, die Bewer­tung von Homo­se­xua­li­tät nicht mehr auf dem wis­sen­schaft­li­chen Stand der Zeit. Es gebe grund­le­gend wich­ti­ge Din­ge, die in der katho­li­schen Kir­che ange­gan­gen wer­den müs­sen, so Biber. Auf die Fra­ge, wie denn nun die Erkennt­nis­se der Theo­lo­gie in die kirch­li­che Leh­re ein­flie­ßen könn­ten, muss­te aller­dings auch Bern­hard Bley­er mit einem Ach­sel­zu­cken ant­wor­ten: Ich weiß es nicht.“ 

Dom­de­kan Hans Bau­ern­feind sprach des­halb wohl allen aus dem Her­zen, als er nach zwei inten­si­ven Tagen die Tagungs­gäs­te mit dem Rei­se­se­gen ver­ab­schie­de­te: Möge der Hei­li­ge Geist uns Mut machen und beglei­ten auf unse­rem Weg in die Zukunft.“

Text: Wolf­gang Krinninger

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