
Pilgerreisen erleben derzeit wieder eine Renaissance, denn nirgends verbindet sich die innere Stille, die durch die geruhsame Bewegung des Gehens entsteht besser mit der Selbsterkenntnis ein Geschöpf Gottes zu sein, als beim Pilgern. Birgit Kußmann berichtet über ihre Erfahrungen als Pilgerin, auf dem Cammino di San Benedetto.
Ich hatte mich wieder angemeldet zu den Wanderexerzitien auf dem Cammino di San Benedetto, obwohl mich arge Bedenken plagten: im Hochsommer in Umbrien täglich 7 – 8 Stunden wandern das ist verrückt, den 8kg schweren Rucksack schleppen, nicht wirklich trainiert zu sein, obwohl ich es mir vorgenommen hatte zu trainieren…
Mit diesen Gedanken sitze ich am 16. August im Zug von Wuppertal nach München Hbf., wo die beiden Leiterinnen Sr. Edith und Swantje mit den 7 Pilgerinnen auf mich warten. Von München geht es weiter, umweltbewusst mit dem „Night Jet“ (ein Zug!) nach Rom Termini und von dort mit Bahn und Bus nach Norcia.
So hatte ich nach 31 Stunden Anreise der Startpunkt der Pilgertour erreicht: Das Städtchen Norcia, der Geburtsort des Hl. Benedikt (480−547). Wir schnallen unsere Rucksäcke auf und wandern still durch die Mittagshitze, vorbei an zerstörten Häusern, wo sich der Eindruck aufdrängt, dass hier seit dem Erdbeben 2016 niemand Hand angelegt hat. Wir verlassen den Ort und gehen bergauf Richtung Monte, wo sich ein junger internationaler Benediktinerkonvent nach dem Beben ein großes Holzhaus gebaut hat. Wir beten mit den ca. 30 jungen Männern die Vesper und staunen über den jungen Konvent. P. Cassian bringt uns mit seinem Auto zurück in den Ort. Er erzählt uns stolz, dass 2 Novizen aus Deutschland dabei seien und weiter sagte der Altprior: „Die Gemeinschaft ist ein Segen!“
1. Pilgertag: Norcia — Cascia
Am nächsten Morgen erreichten wir pünktlich zur Laudes die Benediktinerinnen vom hl. Antonius d. Einsiedler. Diese Ordensfrauen leben in einem „Containerkloster“. Im Innenhof hören wir aus dem Leben des Hl. Benedikt. Der Abt Benedikt verlässt freiwillig „seine“ Mönchsgemeinschaft in Vicovaro, da er diesen zu streng ist. Die Frage lautet: „Wohin ruft Gott mich?“ Schweigend verlassen wir die Stadt, vorbei an der ehemals großen Basilika, die völlig zerstört ist. Nur die Fassade steht noch. Sie wird von Stützpfeilern gehalten! Auf dem Vorplatz hält die Statue des Hl. Benedikt majestätisch Wache. Wir beten zum Patron Europas (seit 1964 von Paul VI.)
Unser Weg führt steil bergauf. Wortlos gehen wir hintereinander entlang des Berges auf einem schmalen, schattigen Weg mit Sichtabstand zur jeweils Nächsten und staunen über die Schöpfung Gottes: das satte Grün Umbriens um uns herum und der strahlendblaue, wolkenlose Himmel über uns. So erreichen wir in Cascia unser „Hotel del Rose“. Ich genieße mein Einzelzimmer und ruhe aus, bevor wir die modern, bunt gestaltete Wallfahrtsbasilika (1947 geweiht) besichtigen und dort die Hl. Messe mitfeiern. In einer Seitenkapelle ruht die Hl. Rita (1371? – 1447) gut sichtbar in einem Glassarg. Sie wird als Helferin in „aussichtslosen Nöten“ angerufen, vermutlich da sie selbst kein leichtes Leben hatte und verschiedene Lebensentwürfe durchlebt hat (Ehefrau, Mutter, Witwe, Ordensfrau).
2. Pilgertag: Cascia — Roccaporena — Monteleone
Der Wecker schellt um 6.00h, das Aufstehen fällt schwer, danach Laudes und Hl. Messe in Deutsch von einem kroatischen Pallottiner extra für und mit uns gefeiert! Unsere Fußpilgertour führt uns nach Roccaporena, dem Geburtsort der Hl. Rita. Der schmale Pfad auf dem wir wandern ist traumhaft schön und schattig! Im Ort angekommen darf jede für sich die 300 Stufen hochsteigen, den „Sacro Scoglio“ (steilen Berg) erklimmen. Die 14 Kreuzwegstationen zum Heiligtum der Hl. Rita laden ein zum Gebet und führen zu einer kleinen Kapelle, wo Rita selbst gebetet hat. Unterwegs begegnen uns mehrere Familien mit kleinen Kindern, schwatzend, diskutierend oder Rosenkranz betend. Der Weg führt alle zur Hl. Rita — der Helferin in aussichtslosen Nöten! Es tut mir gut in meinem Rhythmus zu gehen, am Heiligtum oben zu verweilen und wieder hinabzusteigen. Im Ort gibt es eine kleine, romanisch-romantische Kirche zu besichtigen, wo Rita geheiratet hat, direkt neben der Wallfahrtskirche. Nach der Mittagspause verlassen wir den Ort und gehen Richtung Leonessa. Unterwegs treffen wir eine junge Familie mit 3 Kindern. Der kleine Sohnemann geht mit seinen Pilgerstab an uns vorbei und murmelt vor sich hin: „Buon Cammino!“ Wir (im Oma-Alter) haben unsere helle Freude!
3. Pilgertag: Monteleone – Leonessa
Heute liegt eine moderate Strecke vor uns, d.h. nur wenig Steigung. Dafür knallt die Sonne erbarmungslos vom Himmel und die bekommen wir gut zu spüren auf der langen Strecke durchs Feld! So verlassen wir das grüne Herz Italiens (Umbrien) und erreichen die Region Latium um die Mittagszeit. Ein Holztor wird für uns geöffnet, sodass wir die große Wiese betreten können. Mittagspause — im Schatten eines mächtigen Baumes einfach lang legen, das tut gut! Ausgeruht und gestärkt, durch den Mittagssnack und den geistlichen Impuls, ging es weiter…unsere nächste Wasserstelle war ein Friedhof, somit machten wir in der Nähe einer Urnenwand die letzte Pause mit dem Lied: „Herr, du bist mein Leben, Herr du bist mein Weg….“ Dann war es nur 3 angehneh-me Kilometer bis zum Tagesziel „Hotel Leo“ in Leonessa.

4. Pilgertag: Leonessa – Poggio Bustone
Diese Etappe durch die Reatiner Berge ist die „Gebirgigste“ der gesamten Tour. Wir werden ermahnt genügend Wasser mitzunehmen, da nicht klar ist, ob wir unterwegs Wasser nachfüllen können! Ich spüre, wie die Angst in mir hochkriegt bei der Vorstellung: ausgepowert bei 36 Grad und dann kein Wasser mehr zu haben… und dazu kommt noch. Ich schwitze immer stark und muss somit viel trinken ….Nun geht es erst mal bergauf, die Wasserflaschen sind ja noch voll! Bis zur nächsten Pause auf einer großen Bergwiese mit vielen, leuchtenden Silberdisteln. Es fällt schwer nach dem Ausruhen den schweren Rucksack wieder aufzusetzen und weiter bergauf zu stapfen! Wir gehen alle langsam hintereinander her, die Gruppe trägt!! Der höchste Punkt ist erreicht auf 1500m Höhe mit leuchtend blauen und silbrigen Disteln, wir durchschreiten eine große, weite Lichtung, die nackten Berge um uns herum, wir sind an der Baumgrenze! Wir stehen und atmen und staunen und singen: „Ubi Caritas et amor, deus ibi est“ Die Pferde an der Tränke wiehern und laufen zurück ins Gebüsch. Sie haben uns den Weg zum Wasser frei gemacht und wir genießen das frische, kühle Bergwasser – ein wahrer Genuss! Lange PAUSE dort oben– doch bald müssen wir wieder runter! Dieser Abstieg ist nicht OHNE, da es 700 m runter geht, immer auf rölligem Gestein. Ich mache die kleinen, breiten Schritte eines Elefanten, wie wir es gelernt hatten, dennoch mache ich eine Bauchlandung und liege unter meinem schweren Rucksack und das Richtung bergab! Nach einigen Schrecksekunden stellen mich 2 Pilgerschwestern wieder auf die Füße. Noch etwas wackelig geht’s weiter bergab…Gott sei Dank — es ist nochmal gut gegangen! Endlich ist unser Ziel, das Franziskaner- Kloster am Rande von Poggio Bustone zu sehen. Hier dürfen wir ausruhen, während unsere beiden Leiterinnen noch den Berg „runterhüpfen“ können, um im Ort für unser leibliches Wohl zu sorgen. Ich genieße die schlichte Schönheit der franziskanischen Gemäuer, die Ruhe, den Ausblick ins „Valle Santa“ – das Heilige Tal, weil der Hl. Franziskus 1209 mit seinen Mitbrüdern aus Assisi hier ankam. Sie hatten nichts, außer dem Herrn und deshalb hatten sie Alles und konnten die Bewohner fröhlich grüßen: “Buon giorno — buona gente!“ dt. Guten Morgen — Ihr guten Leute! Als wir 10 Pilgerinnen später in den Ort einzogen, da schauten uns die Leute verdutzt an. Wir grüßten froh und die Kinder grüßten neugierig blickend zurück! Ich bin glücklich: Eine warme Dusche, ein köstliches Abendessen und ein sauberes Bett. Ich schlafe bald ein, auch wenn aus dem „Valle Santa“ statt frommer Gesänge (wie damals?) laute Discomusik erschallt…Ich kann nicht einschlafen, da die Musik nervt. Irgendwann stehe ich auf, stehe am Fenster und sehe im Tal eine Discomeile in verschiedenen Farben blinken….
Einkehrtag – ruhiger Tag in Peggy Bostoner, ohne wandern!
Wir treffen uns zur Hl. Messe oben in der Klosterkirche. Pater Renzo, der Franziskaner dort, empfängt uns mit Jammern und Schimpfen: „Die Pilger wollen alle dasselbe: Toilette, Pilger-stempel und Wasser! Dann gehen sie weiter, ohne dem Herrn zu danken, ohne zu Beten.“ Er sei hier oben allein für Alles zuständig und könne jetzt keine extra Messe für uns feiern. Wir sollen am Abend in die Pfarrkirche zur Abendmesse kommen! Und weg ist er. Unsere Leitung Sr. Edith bleibt ruhig. Wir beten mit ganzem Herzen die Laudes aus unseren Pilgerheften. Beim Benedictus — Gebet taucht P. Renzo hinter dem Hochaltar hervor, mit Altartuch! Fast unmerklich deckt er den Altartisch … Eine echte Überraschung! Er hat es sich anders überlegt und feiert für uns die Hl. Messe. Seine und unsere Stimmen klingen zusammen, noch schöner als sonst. Danach geht es hinab ins Tal zum Frühstück mit Kaffee American bei Feliciamo, besonders köstlich heute!
Der Tagesimpuls für den heutigen Einkehrtag lautet:
3 wichtige Dinge hat Franziskus hier von Gott im Gebet zugesichert bekommen:
• Seine Sünden sind ihm hier von Gott vergeben
• Gott gibt ihm die Gewissheit, dass die Zahl seiner Mitbrüder wächst und Bestand hat
• Er erhält den Auftrag missionarisch zu wirken – Habt Mut und freuet Euch im Herrn
Und wir Pilgerinnen heute?
• Ich schaue mein Leben an – auch meine Sünden und Verfehlungen!
• Glaube ich an Gottes Vergebung?
• Wie komme ich erneut zum Leben?

5. Pilgertag: Poggio Bustone — Rieti
Ein angenehmer Weg führt uns sanft bergab in die Ebene Richtung Rieti. Der Rucksack ist kaum zu spüren… Wir gehen hoch nach Cantalice, die kleine Stadt am Berg, dann weiter nach La Foresta – ein weiteres franziskanisches Heiligtum. Hier zog sich der Hl. Franz am Ende seines Lebens zurück, hier ruhte er aus und holte sich Kraft vor seiner schweren Augen-Operation. Auch diese franziskanische Stätte ist tadellos,hier von der Gemeinschaft mit Namen „Mondo X“, ge-pflegt. Diese Gemeinschaft kümmert sich um straffällig gewordene Jugendliche. Sie haben großen Erfolg mit ihrer Therapie, die da heißt: Arbeit, Gebet, strukturierter Tagesablauf –
kein Handy, kein Internet, keinen Kontakt zur Herkunftsfamilie. Ein Herr der Gemeinschaft zeigte uns stolz die große Gartenanlage. Sr. Edith bekam eine rote Rose und jede von uns eine rote Bio-Tomate. Er war so glücklich uns etwas aus seinem Garten geben zu können, dabei hätten wir ihm was geben müssen….Er erzählte uns noch Vieles und die Zeit verging wie im Fluge. Unten in der Kirche saß ein Mann, der auf uns wartete. Es war Mauro, unser Gastvater in La Foresta-Rieti. Da wir so lange auf uns warten ließen, kam er uns bis in diese Kirche entgegen. So gingen wir gemeinsam in die Herberge (Ostello) und bekamen von ihm und seiner Frau Antonella ein fürstliches Abendessen serviert. Sogar der Wein war selbstgemacht, aus dem eigenen Weinberg.
6. Der letzte Tag in Rieti
Nach einem guten Frühstück, packen und Morgenlob geht es weiter in die Bischofsstadt Rieti. Gastvater Mauro bringt uns zum Tor, zeigt uns die Abkürzung zum Cammino und wir bedanken uns herzlich für die Gastfreundschaft. Es sind nur 4 Kilometer bis Rieti, dessen Kathedrale wir passend zur Messe erreichen. Zum Abschluss dieser Messe ohne Gesang singen wir lauthals unser Lied: Tu sei la mia vita…, auch wenn nicht alle Gottesdienstbesucher begeistert sind, singen wir weiter. Es bleibt noch Zeit um die Krypta zu besichtigen (aus dem 12. Jhdt., der Zeit des heiligen Franziskus), in der Stadt ein echt italienisches Eis zu essen (es wird großzügig auf die Waffel gestrichen), bevor wir in den Zug Richtung München steigen….
Noch Vieles wäre zu sagen, aber es wird zu lang.
So bleibt mir nur noch Resümee zu ziehen: Der Mix macht es!
Spirituelle Impulse aus dem Leben der 3 Heiligen: Benedikt – Rita – Franziskus – in Verbindung mit unserem Leben!
Pilgern — „Beten mit den Füßen“ – Schwitzen nicht mehr können, aber dennoch weitergehen! Und im Weitergehen erkennen – Es geht doch, weil die Gruppe trägt! Seinen Körper spüren, den Bruder Esel, wie Franziskus ihn bezeichnete.
„Caro cardo salutis“ – der Leib ist der Schlüssel zum Heil!
Es hat mir gut getan zu erfahren: „ Mein Körper, Bruder Esel, schafft mehr, als ich mir vorstellen kann!“Das, was mein Körper schafft, das erfahre ich nur, wenn ich gehe und weitergehe….
In diesem Sinne:
DANKE an Sr. Edith, meine leibliche Schwester Rita und Swantje der Co-Leitung. Diese beiden taffen und frommen Frauen haben uns Gottes Spuren auf dem Cammino erfahren lassen!