Wo bis vor wenigen Jahren die ehrwürdigen Schwestern des Benediktinerinnenklosters Neustift bei Ortenburg, früherer Träger der Heimvolksschule St. Maria in Fürstenzell, gelebt und gebetet haben, ist nun neues Leben eingekehrt. Die Kinder- und Jugendhilfestiftung Seraphisches Liebeswerk (SLW) Altötting ließ den ehemaligen Klausurbereich sanieren und dort Wohngruppen mit familiärem Charakter verwirklichen. „Wir wollen den Kindern Heimat geben“, betonte der SLW-Vorstandsvorsitzende Johannes Erbertseder bei der feierlichen Einweihung.
Im Beisein einer Reihe von Ehrengästen – darunter auch Marianne Lüddeckens von der Projektabteilung des gemeinnützigen Fördervereins Sternstunden e.V., der die Einrichtung mit 650.000 Euro unterstützt hat – sprach Erbertseder von der nunmehr wiederbelebten Kernkompetenz in der stationären Betreuung und Internat-Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Fürstenzell. Wegen der Corona-Pandemie, aber auch aufgrund der Sanierungsbedürftigkeit der Räumlichkeiten hatte es diese Funktion für eine Weile nicht mehr gegeben, wie der SLW-Sprecher erzählte, der auch auf die Idee aufmerksam machte, dass sich die nach dem Weggang der Neustifter Schwestern verwaisten Klausurzellen für heilpädagogische Wohngruppen, für Erziehungshilfe für bestimmte Zielgruppen unter einem entsprechenden Förderzweck eignen könnten.
Erbertseder erinnerte daran, dass auch die Benediktinerinnen bereits inklusiv in dem Sozialraum der Heimvolksschule St. Maria in Fürstenzell Kinder mit Traumata und schweren Schicksalsschlägen als Hintergrund aufgenommen hatten. Der Gesamteinrichtungsleiter Maik Hollstein verwies darauf, dass es sich bei den Wohngruppen um einen „Schutzraum“ handele, der erst nach Klopfen an der jeweiligen Tür betreten werden dürfe. Es sei ein langer Weg gewesen, mit Unterstützung der betreffenden Fachstellen und Behörden die Wohngruppen im ehemaligen Schwesternheim zu schaffen, wo im Erdgeschoß nun die Verwaltung von St. Maria sitzt. In den beiden darüberliegenden Geschoßen befinden sich laut Hollstein nun die Wohngruppe Miriam mit neun Plätzen – darunter welche ausschließlich für den Landkreis Passau – und die Wohngruppe Trevor mit sechs Plätzen speziell für sogenannte unbegleitete minderjährige Geflüchtete.
Nach Hollsteins Worten besteht hier eine Mischung zwischen therapeutischen und heilpädagogischen Gruppen. Beide seien voll belegt – auch personell, berichtete der Verantwortliche erfreut. „Die Kinder fühlen sich sehr wohl hier“, fügte er hinzu. Die Zimmer seien überwiegend mit Nasszellen ausgestattet. Die Etagen hätten bereits die Schwestern barrierefrei umgestalten lassen, so Hollstein, der die Freiwilligkeit des Aufenthalts unterstrich. Es sei keine geschlossene Einrichtung, merkte der „Hausherr“ ergänzend an, der darüber informierte, dass immer zwei Personen im Nachtdienst verfügbar sind. Die Bewohner seien zwischen 14 und 18 Jahren alt. Täglich werden im gesamten Spektrum der Heimvolksschule St. Maria in Fürstenzell rund 500 Kinder betreut. Die Baukosten für die Umgestaltung des Schwesternheims haben rund 1,2 Millionen Euro betragen. Betriebsstart für dieses laut Hollstein komplexe und sehr herausfordernde Arbeitsfeld war bereits im Juni 2022.
In den Jahren 2018 und 2019 habe es auf Basis der klaren Einstellung des SLW zum Erhalt der Wohnformen an der Heimvolksschule St. Maria erste Ideen zur Weiterführung des Internats als Kernelement der Gesamteinrichtung gegeben, teilte Maik Hollstein mit. Es sei immer Priorität gewesen, das Heim zu erhalten, doch zunächst habe die frühere „Women-Power“ der Schwestern gefehlt, räumte der Gesamteinrichtungsleiter ein. Auch die anfänglichen Bedenken aus der Elternschaft und der Nachbarn verhehlte er nicht. Sofort Offenheit habe es bei dem relativ früh kontaktierten Sternstunden e.V. gegeben. Trotz Corona habe man die Wohnplätze und die damit verbundenen Stellen der Mitarbeiter gesichert, skizzierte Hollstein die Situation. Zum 31. August 2021 sei die Stilllegung des Internats mit gleichzeitigem Start des Umbaus – zwei Jahre später als zunächst vorgesehen – erfolgt.
Ein weiterer Schritt sei die Umwidmung in Schülerwohnen aufgrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gewesen, stellte Hollstein fest. Der erste ukrainische Flüchtling sei am 16. März 2022 aufgenommen worden. Ende Juni 2022 begann der Betrieb der heilpädagogischen Wohngruppe Miriam, Mitte Oktober folgte die Wohngruppe Trevor. Die Arbeit laufe Hand in Hand mit der Schule und biete den Kindern die Chance, „hier neu anzufangen.“ Der Hausleiter zeigte den Zuhörern ein paar Fallbeispiele für Ausgangssituationen auf, nach denen Kinder und Jugendliche in die Wohngruppen kommen – beispielsweise infolge von häuslicher Gewalt und Unterdrückung, ebenso aus Familien mit Eltern, die Suchtmittel im Haushalt konsumieren, oder als Konsequenz der psychischen Erkrankung der alleinerziehenden Mutter, aber auch nach der Entwurzelung durch die Flucht aus Kriegsregionen und aus Heimatländern mit unsicheren Lebensperspektiven.
Den Reigen der Grußworte eröffneten denn auch zwei jeweils 15-jährige Syrer, die sich dankbar zeigten für die Aufnahme in der Wohngruppe von St. Maria und für damit verbundenen Chancen durch den Schulbesuch. Der eine Jugendliche möchte danach eine Ausbildung zum Automechaniker machen, wie er verriet. Der andere, der seine Familie seit Jahren nicht mehr gesehen hat und Deutschland als sein Heimatland bezeichnete, möchte später studieren und Zahnarzt werden. Der Applaus des Publikums war den beiden sympathischen jungen Männern sicher.
„Wir brauchen jeden Platz und jede Investition in diesem Bereich“, gab der stellvertretende Landrat Klaus Jeggle zu bedenken, der die wertvolle pädagogische Arbeit lobte. „Jeder Mensch, den wir hier wieder auf die Spur bringen, ist ein Gewinn für die Gesellschaft“, konstatierte der Repräsentant des Landkreises, der es als äußerst wichtig ansah, sich um junge Leute zu kümmern und ihnen zu vermitteln, „Du kannst was.“ Fürstenzells Bürgermeister Manfred Hammer hieß besonders die beiden jungen Syrer willkommen. Die Heimvolksschule St. Maria mit ihrem vollen Programm würdigte er als sehr wertvollen pädagogischen Leuchtturm für die Marktgemeinde, den Landkreis und die Region darüber hinaus. Bedeutsam sei Sensibilität, wenn ein Kind in Gefahr sei, so der Bürgermeister. Der Schulstandort mit vielen unterschiedlichen Angeboten biete beste Rahmenbedingungen. Hammers Botschaft am Schluss lautete: „Kinder müssen Kind sein dürfen.“
Text: Bernhard Brunner