Einig gewesen sind sich die Teilnehmer an einem Podiumsgespräch zum Thema „Assistierter Suizid“ in einem Punkt: Der Tod gehört zum Leben. Darüber hinaus gingen die Meinungen der Vertreter aus Theologie, Medizin, Justiz und Institutionen für Humanes Sterben weit auseinander in der Frage, ob „mein Tod meine Entscheidung“ ist. Am Ende kristallisierte sich der Appell heraus, anstelle der Hilfe zum gewollten Ableben mehr für eine Stärkung der Palliativ-Versorgung und Hospiz-Arbeit zu tun. Der Theologe Johannes Brantl sprach sich für eine Ermutigung lebensmüder Menschen „zur lebensbejahenden Einstellung bis zuletzt“ aus.
Die zweistündige Veranstaltung unter der umsichtigen Moderation von Wolfgang Krinninger, Chefredakteur des Passauer Bistumsblatts, stieß auf großes Interesse. Der Festsaal von St. Valentin am Domplatz war vollbesetzt. Kein Wunder, denn es geht um Leben und Tod, um Würde, um Menschlichkeit, wie der Journalist eingangs betonte. Krinninger stellte die hochkarätig besetzte Runde vor: Gerhart Gross (Jahrgang 1942), langjähriger Manager und Personal-Verantwortlicher in global tätigen Unternehmen, im Ruhestand unter anderem ehrenamtlicher Kontaktstellenleiter der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS); Heidi Massinger-Biebl, 57, Gynäkologin mit Zusatzausbildung in Palliativ-Medizin, Caritaswissenschaftlerin und Kommunalpolitikerin; Johannes Brantl (Jahrgang 1968), Priester und Professor für Moraltheologie; Sebastian Kahlert (Jahrgang 1968), Fachanwalt für Strafrecht und von 2008 bis 2022 erster Vorsitzender des Passauer Anwaltsvereins.
Einleitend verwies der Moderator auf die Tatsache, dass sich der assistierte Suizid seit Februar 2020 in einer rechtlichen Grauzone befinde, nachdem damals das Bundesverfassungsgericht (BVG) das Verbot, die Selbsttötung „geschäftsmäßig zu fördern“, für verfassungswidrig erklärt und ein entsprechendes Strafgesetz aufgehoben habe. Der Gesetzgeber müsse die Sterbehilfe neu regeln, fasste Krinninger die Entscheidung in Karlsruhe zusammen, und machte darauf aufmerksam, dass zwei Initiativen für eine Neuregelung bisher im Bundestag gescheitert seien. Man wolle Raum schaffen, sich darüber auszutauschen und durch unterschiedliche Perspektiven eine umfassende Sicht auf dieses schwierige Thema zu ermöglichen, das Nachdenken darüber zu fördern sowie zum Dialog und Austausch animieren, hatte die Vorsitzende der Katholischen Erwachsenenbildung in Stadt und Landkreis, Ingrid Schwarz, bei ihrer Begrüßung bekundet.
Als Priester und Seelsorger die Berufung zu haben, zu ermutigen, das Leben als ein kostbares Geschenk und fundamentales Gut anzunehmen, skizzierte Brantl als seinen Standpunkt. Er zeigte sich beeindruckt von der differenzierten Begründung des BVG und zugleich überrascht davon, wie sie einseitig in Richtung Selbstbestimmung ausgefallen sei. Es sei ethischer und humaner Auftrag, im Gespräch mit betreffenden Menschen einen Weg zu suchen, wie Leben wieder erträglicher werde. Es gebe immer mehr hochbetagte Personen, die niemandem zur Last fallen wollten und Angst vor einem Autonomie-Verlust hätten. Dem Leben ein Ende zu setzen, sei ein einfacher Weg, doch es brauche eine gewisse Sorgfaltspflicht. „Mir geht es darum, mehr in Richtung Beratung und Unterstützung zu gehen“, erklärte der Theologe, der einräumte, einen Menschen nicht zum Leben zwingen, aber ihn dazu ermutigen zu können. Brantl verwies auf die Möglichkeit der Unterstützung bei Gebrechlichkeit, er sprach sich für eine bessere Palliativ-Versorgung und Hospiz-Arbeit aus.
Interview mit dem Moraltheologen Prof. Dr. Johannes Brantl:
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Die Menschen in ihrer Ganzheitlichkeit zu erfassen, formulierte Heidi Massinger-Biebl als ihre Grundforderung. Die Tätigkeit in der palliativen Begleitung Kranker bezeichnete sie als „großes Geschenk“. Es komme relativ häufig vor, dass Betroffene den Willen äußerten zu sterben. „Der Todeswunsch und der Lebenswille sind Geschwister“, sagte die Medizinerin, die es für wichtig hielt, Personen in einer solchen Situation in ihrer Sorge und Not nicht allein zu lassen, sondern körperlich, sozial und psychisch zu betreuen. „Meistens ist es so, dass Menschen so nicht mehr leben wollen“, stellte die Referentin fest, die eine neue Sterbehilfe-Methode namens „Sarco“ in der Schweiz verteufelte. „Wie arm ist das“, fragte Heidi Massinger-Biebl in die Runde und erachtete es als schlimme Vorstellung, dabei im Sterben ganz allein zu sein.
In der Frage der Selbstbestimmung rund um den Tod betrügen sich die Menschen nach Ansicht der Palliativ-Medizinerin aus Waldkirchen selbst. Man solle sich eher fragen, was könne die Gesellschaft tun, um bei Betroffenen unterstützend tätig zu sein, wozu es gerade in der Hospiz-Bewegung ganz wichtige Ansätze gebe. Die Ambivalenz der Problematik spüre sie tagtäglich in der Praxis, so Heidi Massinger-Biebl, nach deren Überzeugung durch „liebevolles Unterlassen“ in der Therapie viel zu erreichen ist. Diese Haltung teilte auch ihre Kollegin Dr. Andrea Stark, Allgemeinmedizinerin in Fürstenzell mit Zusatzbezeichnung Palliativ-Medizin. Die Zuhörerin warnte in ihrer Wortmeldung vor gesetzlichen Erleichterungen: „Ich habe die Befürchtung, dass Suizidhilfe dann Schule macht.“ Sie erlebe oft, dass zum Beispiel alte Bauern einfach nichts mehr essen, wenn sie nicht mehr leben und lieber sterben wollten.
Durch teils schreckliche Erfahrungen im persönlichen und im beruflichen Bereich motiviert worden zu sein, sich mit der Thematik des Humanen Sterbens zu befassen, beteuerte Gerhart Gross. Er berichtete von großer Betroffenheit bei Angehörigen, Kollegen und Vorgesetzten nach Suiziden im jeweiligen Umfeld auf schrecklichste Art und Weise. Gross verwies auf Statistiken, die belegten, dass 70 bis 80 Prozent der Menschen, die sterben wollten, diese Absicht wegen Krankheit verfolgten, der Rest aber ganz einfach „lebenssatt“ sei, ohne krank zu sein, sondern weil diese Leute beispielsweise von dem Gedanken geleitet würden, „ich will nicht in ein Heim“ oder Mitmenschen „nicht zur Last fallen“. Es gehe um die Unabhängigkeit und das Selbstwertgefühl, das Leben so beenden zu beabsichtigen, wie man zuletzt gelebt habe. In Deutschland gebe es pro Jahr 10.000 Suizide und 100.000 bis 150.000 Fälle, bei denen Suizide misslingen. Dem stünden zum Beispiel im Jahr 2023 exakt 762 Sterbehilfe-Fälle gegenüber, so Gross.
Der DGHS-Ansprechpartner ließ die Zuhörer wissen, dass ganz strikte Regeln in Vereinigungen für Humanes Sterben gelten. So müssten zwei Ärzte die Urteilsfähigkeit des Sterbewilligen bestätigen, ebenso die Konstanz seines Willens, aber auch Alternativen als Suizid-Prävention ins Auge fassen. Zu bedenken gab Gross, dass trotz gesetzlicher Lockerungen in der Schweiz dort die Anzahl selbstgemachter Suizide gleich geblieben sei. Er sah es als große persönliche Aufgabe an aufzuzeigen, dass es unterschiedliche Möglichkeiten für einen Suizid gebe, anstatt dies auf besonders schreckliche Art – etwa sich vor einen herannahenden Zug zu werfen – zu tun. Dringend empfahl er dem Publikum, sich um eine so aktuell wie möglich ausgearbeitete Patientenverfügung zu kümmern und einen Bevollmächtigten zu benennen. Darauf würde in speziellen Einrichtungen geachtet. Der Referent sprach sich zudem dafür aus, eine Überversorgung todkranker Patienten zu überdenken.
Der Jurist sage, „Leben ist Leben“, unterstrich Sebastian Kahlert. Der Rechtsanwalt skandierte, Sterbehilfe dürfe kein Geschäftsmodell werden, und signalisierte eine Bestrafung dann, wenn geschäftsmäßige Sterbehilfe erfolge. Die Überlegung eines Menschen, wegen Alters oder Krankheit nicht mehr leben und sich suizidieren lassen zu wollen, sei nicht strafbar, weil über das eigene Leben selbst entschieden werden dürfe. Eine Beihilfe sei nur dann strafbar, wenn die Haupthandlung strafbar sei, erläuterte Kahlert den Zuhörern. Der Zwiespalt in der Thematik zwinge viele Leute dazu, in die Schweiz zu fahren und sich dort zu suizidieren, monierte der Strafrechtler, der sich fragte, warum das Thema in Deutschland nicht vereinfacht werde. Man könne ja auch nicht verhindern, dass sich jemand vor den Zug werfe. Der Anwalt bezweifelte eine Zunahme von Suiziden bei einer gesetzlichen Erleichterung. Abschließend plädierte Kahlert dafür, sich generell von dem Gedanken zu verabschieden, „alles regeln zu können“.
Das Schlusswort hatte die Passauer Stadträtin Sissi Geyer. Zugleich Vorsitzende des Hospiz-Vereins Passau dankte sie allen Podiumsteilnehmern, zum Nachdenken über das schwierige Thema angeregt zu haben.
Text: Bernhard Brunner