
Juristen können ein Lied davon singen: Gesetzestexte sind meist eine staubtrockene Angelegenheit und fast immer Auslegungssache. Dass es aber auch in der christlichen Lehre ohne Gesetze nicht geht und diese jedoch kein Joch sondern eine Freiheit darstellen, davon berichtet Pfarrer Anton Haslberger, in seiner Predigt zum 22. Sonntag im kirchlichen Jahreskreis, am 29. August 2021.
Gesetze, Vorschriften und Regeln sind für uns bis weilen eher negativ konotiert. Auch im biblischen Kontext haben Gesetze oft einen eigenartigen Geschmack. Dies kommt nicht von ungefähr. Auch in der paulinischen Theologie ist die Spannung von Freiheit und Gesetz angelegt. Paulus kämpft auf dem Apostelkonzil von Jerusalem so leidenschaftlich dafür, dass zum Christentum bekehrte Heiden, frei sein müssen vom jüdischen Gesetz. Es klingt an, dass das Gesetz etwas unfreies hat und unfrei macht.
Die sonntägliche Lesung aus dem Buch Deuteronomium weist in eine andere Richtung. Die Gesetze und Rechtsvorschriften sind so weise und dem menschlichen Leben und Zusammenleben so dienlich, dass andere Völker und Nationen bewundernd auf das kleine Volk Israel schauen, weil ihnen ihr Gott so nahe kommt, weil er mit Israel eine Lebensgemeinschaft eingeht. Hier wird Gesetz verstanden als Ermöglichung einer lebendigen Freiheit, weil sie in der Verbundenheit mit dem lebendigen Gott gründet.
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Die jüdische Beziehung zum Gesetz, zur Tora ist durch eine dynamische Spannung geprägt. Einerseits werden die überlieferten Texte buchstabengetreu bewahrt, andererseits werden die Weisungen je nach den Bedürfnissen neuer Zeiten ausgelegt. Schriftliche und mündliche Überlieferung spiegeln sich in Tora, Mischna und Talmund wieder.
Entscheidend für unsere heutigen Debatten in Gesellschaft und Kirche ist, dass wir Freiheit und Gesetz nicht gegeneinander stellen, sondern ihre Bedingtheit suchen und erkennen. Je tiefer wir Menschen den Gesetzmäßigkeiten des Lebens in uns auf die Spur kommen, desto weiter wird unsere Freiheit, die dann gerade eben nicht Beliebigkeit ist, sondern gemeinsam verantwortete Freiheit in den gegebenen Gesetzmäßigkeiten des Lebens.
Jesus von Nazareth sagt uns, dass er nicht gekommen sei, das Gesetz aufzuheben, sondern es zu erfüllen. In IHM ist die Gesetzmäßigkeit der Nähe Gottes zu uns Menschen Fleisch geworden – ist konkret lebendig geworden.
Und Jesus sagt auch, dass der Mensch nicht für den Sabbat, sondern der Sabbat für den Menschen da ist. Es geht nicht um eine äußere Erfüllung, sondern um den Respekt vor uns selbst. Freie Menschen leben nicht nur von der Arbeit, sie leben auch von Freiräumen in denen sie den Gesetzmäßigkeiten des eigenen Lebens auf die Spur kommen und diese Erkenntnis zur größeren Freiheit aller teilen.
Anton Haslberger
Pfarrer im Pfarrverband Ortenburg