Weltkirche

„Die Mädchen sind traumatisiert, manche bringen sich danach um“

Redaktion am 30.01.2023

Bibiane Bokamba Nzali quer Foto: Projektpartner / Kindermissionswerk
Schwester Bibiane Bokamba Nzali leitet die Organisation zur Beendigung weiblicher Genitalverstümmelung (Association for Termination of Female Genital Mutilation, ATFGM) in Masanga, Tansania.

Der Internationale Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung am 6. Februar macht auf Mädchen und Frauen aufmerksam, die von dieser schweren Menschenrechtsverletzung betroffen sind. Schwester Bibiane Bokamba Nzali leitet die Organisation zur Beendigung weiblicher Genitalverstümmelung (Association for Termination of Female Genital Mutilation, ATFGM) in Masanga, Tansania. Im Interview berichtet die Sternsinger-Partnerin über die kinderrechtsverletzende Praxis in dem ostafrikanischen Land und ihren Einsatz für Mädchenschutz.

Wie ver­brei­tet ist die Pra­xis der weib­li­chen Geni­tal­ver­stüm­me­lung in Tan­sa­nia?
Weib­li­che Geni­tal­ver­stüm­me­lung wird noch viel­fach prak­ti­ziert. Nach offi­zi­el­len Anga­ben war im Jahr 2019 lan­des­weit jedes zehn­te Mäd­chen davon betrof­fen. In fünf Regio­nen Tan­sa­ni­as ist die Rate mit bis zu zwei Drit­teln betrof­fe­ner Mäd­chen und Frau­en beson­ders hoch. 

Wie und durch wen wird weib­li­che Geni­tal­ver­stüm­me­lung gerecht­fer­tigt
Tra­di­tio­nel­le und von loka­len Gemein­schaf­ten respek­tier­te Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten recht­fer­ti­gen sie, indem sie sagen, die­se Pra­xis gehö­re zu ihrer Kul­tur. Ein unbe­schnit­te­nes Mäd­chen kön­ne von sei­ner Gemein­schaft nicht akzep­tiert und müs­se von sei­ner Fami­lie und sei­ner Gemein­schaft aus­ge­grenzt werden.

In wel­chem Alter sind Mäd­chen gefähr­det, geni­tal ver­stüm­melt zu wer­den?
Frü­her waren es Mäd­chen zwi­schen 14 und 17 Jah­ren. Aber da wir die Kin­der in Schu­len für das Pro­blem sen­si­bi­li­sie­ren und eini­ge Mäd­chen die­ser Alters­grup­pe in Schutz­zen­tren Zuflucht suchen, haben man­che Gemein­schaf­ten damit begon­nen, Mäd­chen schon ab dem Alter von sie­ben Jah­ren zu beschneiden.

Was sind die Fol­gen der Geni­tal­ver­stüm­me­lung?
Sie sind gra­vie­rend. Alle Mäd­chen haben bei der Beschnei­dung gro­ße Schmer­zen, da sie nicht betäubt wer­den. Sie ver­lie­ren viel Blut und eini­ge ster­ben an den Fol­gen der Miss­hand­lung. Zudem wer­den die Mäd­chen trau­ma­ti­siert, da die Ver­stüm­me­lung mit Gewalt, ohne ihre Zustim­mung geschieht. Man­che Mäd­chen brin­gen sich danach um. Ande­re kön­nen sich in der Schu­le nicht mehr kon­zen­trie­ren. Vie­le iso­lie­ren sich, haben kein Selbst­ver­trau­en und fürch­ten sich vor jedem. Die meis­ten Mäd­chen brau­chen psy­cho­lo­gi­sche Hil­fe. Ein wei­te­res Pro­blem: Vie­le Mäd­chen wer­den nach der Beschnei­dung ver­hei­ra­tet, gehen nicht mehr zur Schu­le und wer­den sehr jung schwanger. 

Wie bekämpft Ihre Orga­ni­sa­ti­on die Pra­xis der Geni­tal­ver­stüm­me­lung?
Wir füh­ren Gesprä­che in den Dör­fern und zei­gen Vide­os über die Aus­wir­kun­gen von Geni­tal­ver­stüm­me­lung und Kin­der­hei­rat. Wir orga­ni­sie­ren Tref­fen mit Schul­kin­dern, bei denen sie Lie­der, Gedich­te und Spie­le mit Bot­schaf­ten gegen die Geni­tal­ver­stüm­me­lung vor­be­rei­ten. Wir unter­stüt­zen Kin­der­rech­teclubs in Schu­len, wo Mäd­chen sich aus­tau­schen kön­nen und über den Kin­der-Not­ruf und Schutz­zen­tren infor­miert wer­den. Wir tref­fen uns mit Regie­rungs­be­hör­den, dem Gen­der- und Kin­der­re­fe­rat der Poli­zei, den Sozi­al­äm­tern und mit Rechts­an­wäl­ten, um sie für die Bekämp­fung von Geni­tal­ver­stüm­me­lung zu sen­si­bi­li­sie­ren. Fäl­le von Kin­der­rechts­ver­let­zun­gen brin­gen wir vor Gericht. Jedes Jahr wäh­rend der tra­di­tio­nel­len Beschnei­dungs­pe­ri­ode“ im Dezem­ber orga­ni­sie­ren wir Ret­tungs­camps. Und wir unter­stüt­zen Mäd­chen, die von ihren Eltern ver­sto­ßen wur­den, weil sie sich einer Geni­tal­ver­stüm­me­lung verweigern. 

Bibiane Bokamba Nzali hochformat Foto: Projektpartner / Kindermissionswerk

Wie tre­ten Sie mit den Mäd­chen in Kon­takt?
Bei Schul­be­su­chen, Schul­fes­ten und in Schul­clubs, bei öffent­li­chen Ver­an­stal­tun­gen zu Men­schen­rech­ten, bei Gesprä­chen in Dorf­ge­mein­schaf­ten oder bei Haus­be­su­chen und in Rettungscamps. 

Wie arbei­ten Sie mit den Eltern zusam­men?
Bei Haus­be­su­chen spre­chen wir mit ihnen über die schwe­ren Fol­gen von Geni­tal­ver­stüm­me­lung. Außer­dem erar­bei­ten wir mit ihnen einen alter­na­ti­ven und kin­der­rechts­kon­for­men Über­gangs­ri­tus, der die Geni­tal­ver­stüm­me­lung ersetzt. Zudem orga­ni­sie­ren wir Ver­söh­nungs­tref­fen, um Eltern und ver­sto­ße­ne Mäd­chen wie­der zu vereinen. 

Koope­rie­ren Sie mit Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten?
Ja, wir arbei­ten eng mit reli­giö­sen Auto­ri­tä­ten zusam­men, um Gemein­de­mit­glie­der zu sen­si­bi­li­sie­ren. Wir arbei­ten auch wäh­rend der Beschnei­dungs­pe­ri­ode zusam­men, um Mäd­chen zu ret­ten. 2020 sind bei­spiels­wei­se 83 Mäd­chen in Kir­chen und 13 Mäd­chen in Moscheen geflo­hen, wo sie Schutz fanden. 

Was erschwert Ihre Arbeit?
Die Eth­nie der Kuria im Nor­den Tan­sa­ni­as betrach­tet weib­li­che Geni­tal­ver­stüm­me­lung als Teil ihrer Kul­tur. Daher neh­men Gemein­de­mit­glie­der Akti­vi­tä­ten gegen die­se Pra­xis als Ver­stoß gegen ihre Kul­tur wahr und bedro­hen uns. Poli­ti­ker sagen oft nichts zur Geni­tal­ver­stüm­me­lung – aus Angst, bei den Wah­len Stim­men zu ver­lie­ren. Die Geset­ze gegen Geni­tal­ver­stüm­me­lung wer­den nicht kon­se­quent ange­wen­det und sind lücken­haft. Pro­ble­ma­tisch sind zudem feh­len­de Trans­port­mög­lich­kei­ten zur Ret­tung der Mäd­chen und die schlech­te Infra­struk­tur. Außer­dem feh­len uns finan­zi­el­le Mit­tel, um ver­sto­ße­nen Mäd­chen eine Aus­bil­dung zu ermög­li­chen. Daher sind wir dem Kin­der­mis­si­ons­werk Die Stern­sin­ger‘ sehr dank­bar dafür, dass es in den letz­ten drei Jah­ren mehr als hun­dert Mäd­chen unter­stützt hat, die ver­sto­ßen wurden. 

Auf wel­che Erfol­ge sind Sie beson­ders stolz?
Seit Beginn unse­rer Arbeit im Jahr 2008 konn­ten wir 4.128 Mäd­chen ret­ten. 25 Frau­en, die die Beschnei­dun­gen vor­nah­men, wur­den sen­si­bi­li­siert und haben ihre Tätig­keit auf­ge­ge­ben. Stolz sind wir auch auf die gute Zusam­men­ar­beit mit den Ver­ant­wort­li­chen der ver­schie­de­nen Glau­bens­rich­tun­gen und dar­auf, dass es heu­te an 193 Grund- und Sekun­dar­schu­len Kin­der­rech­teclubs gibt. Wir konn­ten 300 Mäd­chen eine Aus­bil­dung ermög­li­chen. Davon haben 19 Mäd­chen die Uni­ver­si­tät abge­schlos­sen und eine Anstel­lung gefun­den, elf Mäd­chen stu­die­ren noch, drei Mäd­chen wer­den an einer Fach­hoch­schu­le zu Kran­ken­schwes­tern aus­ge­bil­det und alle ande­ren sind in der Sekundarstufe.

Kin­der­mis­si­ons­werk Die Stern­sin­ger‘ – das Hilfs­werk der Stern­sin­ger
Rund 1.300 Pro­jek­te für benach­tei­lig­te und Not lei­den­de Kin­der welt­weit wer­den jähr­lich vom Kin­der­mis­si­ons­werk Die Stern­sin­ger‘ unter­stützt. Ein­nah­men in Höhe von ins­ge­samt rund 61 Mil­lio­nen Euro stan­den dem Hilfs­werk der Stern­sin­ger 2021 für sei­ne Arbeit zur Ver­fü­gung. Geför­dert wur­den Pro­jek­te in 91 Län­dern. Neben der För­de­rung der Kin­der-Hilfs­pro­jek­te zäh­len der Ein­satz für die Rech­te von Kin­dern welt­weit sowie die Bil­dungs­ar­beit zu den Auf­ga­ben. Das Kin­der­mis­si­ons­werk nimmt Spen­den für Kin­der ent­ge­gen. Spen­den­kon­to: Pax-Bank eG, IBAN: DE 95 3706 0193 0000 0010 31, BIC: GENODED1PAX.

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