Es ist ein gemütlicher Abend unter Freundinnen. Nach einem weiteren langen Schultag zwischen Klausuren und Seminararbeit, freuen sich die drei 17-jährigen Gymnasiastinnen Marie, Vroni und Laura auf einen Serienabend zu dritt. Genug geredet über den Oberstufen-Alltag. Noch schnell die Kissen zurechtgerückt, Schokolade bereitgestellt und dann Licht aus. Der Laptop steht schon bereit, auf dem Bildschirm der Schriftzug „The Chosen“. In den darauffolgenden beiden Stunden wird vor allem über einen geredet: Jesus.
In der amerikanischen Serie „The Chosen“ rückt Regisseur Dallas Jenkins Leben und Wirken Jesu in den Fokus. Die Produktion ist dabei vollkommen durch Crowdfunding, das heißt vom Publikum, finanziert und ist mit jeweils zehn Millionen Dollar Spendengeldern pro Staffel die teuerste Serie, die jemals auf diesem Wege finanziert worden ist. Die Staffeln eins und zwei sind kostenfrei in der „The Chosen“-App verfügbar, Staffel zwei für das deutsche Publikum jedoch vorerst nur in englischer Sprache mit deutschen Untertiteln. Stand November 2021 zählt die App über 300 Millionen Aufrufe. Die Finanzierung der dritten Staffel ist bereits fast vollständig abgeschlossen.
Die Handlung folgt Jesus – gespielt von Jonathan Roumie – und seinen Jüngern entlang der Evangelien. In bislang 16 Episoden werden die Berufung der ersten Jünger, ihr Weg mit Jesus und ihre Begegnungen unterwegs cineastisch-eindrucksvoll erzählt. Im Mittelpunkt stehen dabei stets die Menschen selbst mit ihren individuellen Persönlichkeiten und Geschichten. Um diese Nähe zu den Figuren zu schaffen, greift die Serie auf Inhalte und Handlungsstränge zurück, die über biblische Erzählungen hinausgehen. So wurden um die Jünger zum Teil ausführliche Hintergrundgeschichten gesponnen und Heilungsgeschichten auf Basis der Evangelien verdichtet und ausgeschmückt. Die Grenze zwischen dem, was aus der Bibel übernommen und dem, was frei hinzu erfunden ist, verschwimmt dabei.
Marie erkennt die Bedeutung des Vorspanns sofort: „Am Anfang ist es nur ein Fisch, der gegen den Strom schwimmt. Nach und nach kehren immer mehr Fische um und folgen ihm.“ Bereits der Vorspann gibt einen Ausblick darauf, welche Geschichte die Serie erzählt. Nach den ersten Minuten der ersten Folge spiegelt sich in den Gesichtern der drei jedoch erst einmal Verwirrung. „Total unzusammenhängend“, findet Vroni den Anfang.
Die Serie wird getragen von ihren Protagonistinnen und Protagonisten. So ist Simon Petrus ein Fischer mit finanziellen Problemen und deswegen im ständigen Konflikt mit den Römern und mit Steuereintreiber Matthäus. Matthäus wird mit leichten autistischen Zügen gezeichnet. Er ist ein Zahlenmensch, dessen starke Beobachtungsgabe letztendlich nicht nur ihm zu Gute kommt. Maria Magdalena wiederum wird zunächst als von einem Dämonen besessen und unter anderem Namen vorgestellt. Von Anfang an spielt sie eine zentrale Rolle an der Seite Jesu und fungiert so als starke, weibliche Hauptrolle. Bereits in der ersten Folge wird eine Vielzahl neuer Personen eingesetzt, denen erst nach und nach mehr Tiefe gegeben wird. Eine Schwierigkeit der Serie zeigt sich hier darin, all diese Einzelpersonen zusammenzufügen, ohne den Zuschauer unterwegs zu verlieren. Vor dem Hintergrund, dass die Serie nicht nur eine Zielgruppe ansprechen soll, die über umfangreiche Kenntnis biblischer Geschichten verfügt, steigt die Handlung sehr schnell und breit gefächert ein. Hinzu kommt das Fehlen einer zentralen Person, der eine Haupthandlung folgt. Oft ist es nicht Jesus, der im Mittelpunkt steht. Die einzelnen Episoden drehen sich mitunter um wechselnde Figuren, wodurch es zunächst schwierig ist, die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu halten.
„Hat nicht einer der Jünger Simon geheißen?“, wirft Laura die Frage in den Raum, als Simons Name zum ersten Mal fällt. Nach und nach erkennen die drei Parallelen zu biblischen Geschichten und Personen, die sie kennen. Auch Maria Magdalena ist ihnen sofort ein Begriff. Weniger bekannt ist ihnen da so manche Eigenart des Judentums, das im Verlauf der Serie immer wieder etwa durch die Feier des Shabbat thematisiert wird. Gerade diese Aspekte, ebenso wie der zeitliche Rahmen, in dem die Serie spielt, seien jedoch besonders spannend. „Was ich interessant finde, ist, dass es allgemein wenig Filme gibt, die in der Zeit spielen. Oder zumindest habe ich wenige gesehen. Das macht’s auch interessant, auch wenn du jetzt nicht an den religiösen Aspekten interessiert bist“, so Marie.
Hier sehen Sie den Trailer zur Serie:
Ihnen entgeht ein toller Beitrag!
Mittels moderner Dialoge und einer aufwendigen filmischen Darstellung versucht „The Chosen“ die Handlung in die Gegenwart zu holen. So wird Jesus als Kumpeltyp inszeniert, dem bisweilen auch ein spontaner Spruch über die Lippen kommt. Wenn diese Art der Dialoge auch anfangs nicht ganz mit der klassisch-gehaltenen Ausstattung der Darsteller, wie man sie etwa aus Passionsspielen kennt, zusammenpasst, verstärkt sie doch die Natürlichkeit und Nahbarkeit der Figuren. Die Schauspielerinnen und Schauspieler überzeugen mit bodenständigen Darstellungen ihrer Rollen. Störend wirkt hier im Kontrast letztlich nur der stellenweise zu dramatische Soundtrack.
„Ich find’s schon irgendwie spannend. Ich möchte jetzt schon wissen, wie es weitergeht“, meint Marie, als der Abspann von Folge zwei läuft. Laura wiederum sieht auch am Ende der beiden ersten Folgen die Nachvollziehbarkeit der Handlung als Schwachpunkt der Serie. Es sei schwierig für den Zuschauer, dass keine klare Hauptperson vorhanden ist. Dem schließen sich auch Vroni und Marie an. Vroni könne sich sonst meist mit mindestens einem der Charaktere identifizieren. Hier sei das – zumindest bislang – wegen der großen Vielzahl an Personen nicht möglich. Insgesamt stufen die drei vor allem das Thema der Serie als Geschmackssache ein. Die Schauspielleistung und allgemeine Machart kommt bei den Schülerinnen jedoch gut an. Für Laura und Vroni reicht das insgesamt nicht, um auch in Zukunft an „The Chosen“ dran zu bleiben. Marie allerdings zieht ein anderes Fazit: „Ich würde weiterschauen.“