Ein düsteres Bild mit einem hoffnungsvollen Ausblick zeichnete Bischof Dr. Stefan Oster von der gegenwärtigen Lage der katholischen Kirche. „Ecclesia, quo vadis? Kirche zwischen Tradition, Skandalen und authentischem Glauben“ lautete der Titel seines Vortrags, den er am Dienstagabend vor rund 45 Professorinnen und Professoren aus dem Passauer Hochschulkreis hielt. „Ich sehe eine ähnliche Situation wie im 16. Jahrhundert, kurz vor der Reformation“, sagte Bischof Oster.
Bischof Oster spricht auf Einladung des Passauer Hochschulkreises über die aktuelle Situation der katholischen Gemeinschaft — Wohin steuert die Kirche?
Die Herausforderungen der Kirche in der heutigen Gesellschaft seien enorm. Die Kirche sehe sich einer zunehmend pluralistischen, säkularen Kultur gegenüber, verbunden mit einem dramatischen Relevanzverlust von Glaube, Theologie und Kirche, befeuert durch das dank zahlreicher Skandale schlechte Image der Kirche in der allgemeinen Öffentlichkeit. Der Rückgang der Gläubigen bei gleichzeitiger Überalterung der Verbliebenen sorge für eine Steigerung der Überlastung. Wo doch immer neue Anforderungen zum Beispiel an Verwaltung nach neuem Personal und mehr Professionalisierung verlangen. „In absehbarer Zukunft werden dementsprechend auch unsere Finanzmittel deutlich weniger werden“, so der Bischof.
In der Auseinandersetzung mit dieser Realität zeige sich bei vielen Gläubigen und Amtsträgern ein Mangel an der Fähigkeit, tragfähige Antworten zu geben — nicht nur auf die klassischen Reizthemen Sexualität, Partnerschaft, Frauenfrage, Zölibat. „Viele Glaubensinhalte sind heute kaum mehr vermittelbar“, sagte Oster. Wo werde denn zum Beispiel der Zusammenhang zwischen Glaube und Naturwissenschaft gut erklärt? Oder der zwischen Religion und Gewalt? Oder von Ökumene und ihrem fehlendem Fortschritt? Wie lässt sich überhaupt Liturgie verstehen? „Erklären Sie all das mal jungen, kritisch fragenden Menschen, die nicht kirchenverbunden sind“, so der Bischof. Bei vielen Christen bleibe daher ein vages Gefühl von Gläubigkeit und wachsendes Misstrauen gegenüber der Institution. „Bei großen Festen oder Bischofsbesuchen, sind die Kirchen zwar noch übervoll“, erzählte er – aber am nächsten gewöhnlichen Sonntag dann schon wieder leer, mit weiter abnehmender Tendenz. „Was sagt das über unsere Tradition? Ist sie leer geworden? Was fehlt?“ Warum haben so viele Menschen den Eindruck, Christentum bedeute zuerst das Einhalten frommer Regeln und Moralvorschriften? Dabei gehe es in einem authentischen Glauben gerade nicht zuerst um Ethik oder Moral, sondern zuerst um eine lebendige Beziehung zu Jesus Christus – als einem, der jeden einzelnen Menschen erneuert und damit die Welt – und der dann hilft, anders zu leben. An der folgenden Frage und der Qualität unserer Antwort werde sich das Schicksal der Kirche entscheiden: „Wer ist Christus? Und wer ist er für mich?“, so Bischof Oster: „Das ist die wichtigste Frage.“
Das Reich Gottes beginne da, wo ein Mensch beginnt, Christus den Herrn seines Lebens sein zu lassen. Immer wieder dort, wo sich in diesem Sinne Menschen haben von Jesus berühren lassen – und deshalb von innen her auch die Lehre der Kirche annehmen können, erlebe er Wachstum, sagte Oster. Es brauche offene, einladende Gemeinschaften, in denen gerade die herausfordernde Botschaft des Evangeliums ernst genommen werde, in denen qualitätsvoll Gott gefeiert werde und in denen Menschen in Not wirklich gesehen werden. In solchen Gemeinschaften zeige sich: „Hier ist es noch einmal anders als bei der Feuerwehr oder im Fußballverein.“ Zu Zeiten der Volkskirche habe man vieles vielleicht nicht erklären müssen, weil es als selbstverständlich erachtet wurde. Sobald das Verhältnis zwischen Staat, Gesellschaft und Kirche jedoch spannungsreicher werde, müssten überzeugende Antworten gegeben werden. Und die, so fand der Bischof einen hoffnungsvollen Schluss, fänden wir allesamt und auf einzigartige Weise im Evangelium und in der großen Tradition der Kirche, die freilich immer eine zu erneuernde Kirche bleibe. Die echten Reformer von Kirche seien in diesem Sinn eher selten die hohen Amtsträger gewesen, sagte er, sondern heilige Frauen und Männer wie Franziskus, Ignatius oder Mutter Teresa. Sie hätten zuerst aus Gott gelebt und sich, bewegt durch diese Beziehung, den Menschen zugewandt.
Text und Foto: Anna Hofmeister