Was wäre das wohl für ein grandioses Fest gewesen, hätte nicht Corona zur vor allem zahlenmäßigen Bescheidenheit gemahnt? Denn auch die wenigen zum Pontifikalgottesdienst mit Bischof Dr. Stefan Oster am Samstagabend zugelassenen Jägerwirther versprühten anlässlich des 120. Geburtstags der Pfarrkirche und des hundertjährigen Bestehens der Pfarrei jede Menge Freude und auch Stolz auf ihre so mutigen und eifrigen Vorfahren. „Ich möchte Sie einladen, sich von dem, was die Menschen, die die Kirche gebaut haben, bewegt hat, anstecken zu lassen: von der Sehnsucht, eine Mitte im Glauben zu haben“, betonte der Passauer Oberhirte.
Der Bischof bedankte sich aufrichtig bei allen Engagierten in Jägerwirth, die so wunderbare Akzente setzen wie die Schaffung des Bibelgartens oder den Erhalt des kleinen Marienwallfahrtsortes Heiligenbrunn – „ein Engagement dafür, dass Kirche lebendig ist und Kirche lebendig bleibt.“ Die Kirche sei die Mitte der Gemeinschaft, die die ganze Gemeinde verbinde, wo die wichtigsten Ereignisse gefeiert, aber auch betrauert würden, gab Oster zu bedenken. Als umso bedeutsamer empfand er die Tatsache, dass die Jägerwirther Pfarrkirche in der Nähe der Katastrophe des Ersten Weltkrieges aus großer eigener Antriebskraft heraus errichtet worden sei – in einer Zeit, in der es viele Priester gegeben habe und somit auch einen eigenen Pfarrer für das Dorf.
Heute sei die Situation der Kirche ganz anders als damals, bekundete der Bischof. Die Volkskirche sei einst noch ein ganz stark verbindendes Element gewesen – „man war irgendwie automatisch dabei.“ Heute gebe es entgegen der seinerzeitigen Bewegung zur Kirche hin eine Bewegung weg davon, die freilich vielfach auch selbst von der Kirche verschuldet sei. Unverblümt erwähnte Oster als einen Grund die Missbrauchsskandale. Umso wichtiger sei der Glaube der Menschen, dass der christliche Gott ihr Herz verändere. Bezugnehmend auf das Evangelium nach Markus erklärte der oberste Geistliche der Diözese, dass Jesus seine Jünger um sich gesammelt und sie dann entsendet habe, damit sie heilsam wirken, somit eine geistig und körperlich heile Welt schaffen. Er fühle sich besonders zu den Benachteiligten und Armen gesandt, so der Prediger über den Gottessohn.
Angesichts des Patroziniums der Jägerwirther Pfarrkirche „Heilige Familie“ rief Oster dazu auf, vor diesem Hintergrund nicht nur an weihnachtliche Bilder zu denken, sondern an die Erfahrung, „dass wir Geschwister im Glauben sind – Geschwister Jesu, der uns mit dem Vater versöhnt.“ Seine Botschaft an die Gottesdienst-Teilnehmer formulierte der Bischof wie folgt: „Wir sind eine heilige Familie, weil wir einen heiligen Vater haben und einen heiligen Bruder in Jesus.“ Daher sei es notwendig, als Christin und Christ ein Zeugnis abzugeben dafür, warum diese Kirche gebaut worden ist – nämlich aus dem Bewusstsein heraus, „dass Gott in unserer Mitte sein will.“ Der Passauer Oberhirte wünschte sich Menschen in der Pfarrgemeinde, die sagen, „lass uns mal zur Quelle unseres Glaubens gehen und gemeinsam aus der Bibel lesen.“
Oster stellte auch die Frage in den Raum, ob die Not in der Pfarrei allen Menschen bekannt sei. Jesus würde zu den Armen und Verzweifelten gehen, hob der Bischof hervor und animierte die Zuhörer dazu, sich Gedanken zu machen, wie die Kirche von morgen sein werde. Als die Kirche von Jägerwirth gebaut und die Pfarrerhebung erfolgt sei, habe eine fruchtbare Zeit geherrscht, in der rund 20 Pfarreien eigenständig geworden seien. Der hohe Geistliche rühmte die Eigeninitiative der Bevölkerung – auch und gerade in Jägerwirth. „Viel Segen ist von hier ausgegangen“, unterstrich der Bischof zu Beginn der Heiligen Messe, die der Kirchenchor mit modernen Liedern musikalisch umrahmte. „Dies Haus aus Stein, es soll lebendig sein“, hieß es in einem Zwischengesang. „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“ wurde im Kommuniondank besungen. Konzelebranten waren Pfarrer Christian Böck und Ständiger Diakon Dr. Anton Cuffari.
Die Historie um Kirchenbau und Pfarrerhebung skizzierten Pfarrgemeinderatsvorsitzender Dr. Josef Hechberger und Kirchenpfleger Alois Wimmer in ihrem Grußwort. „Es muss für unsere Vorfahren in Jägerwirth vor 120 Jahren etwas Wunderbares gewesen sein, endlich eine Kirche, einen geistlichen Mittelpunkt, in ihrem Dorf zu haben. „Dafür mussten sie viele Jahre kämpfen und auch manche Enttäuschung verkraften. Wir sind ihnen sehr dankbar für ihre Mühe, Ausdauer und Beharrlichkeit“, sagte Hechberger. Wimmer erinnerte an das faktische Wegbrechen des Religionsunterrichts, als 1887 durch den Schulbau in Rehschaln die Fürstenzeller Kooperatoren nicht mehr alle drei Schulstandorte versorgen konnten, ein Protest beim damaligen Bischof jedoch nicht fruchtete.
1898 habe Johann Danninger, Ökonom aus Straß, erneut einen Vorstoß unternommen, dem sich dann die staatlichen Stellen und das Ordinariat angeschlossen hätten, so Wimmer. Anhand einiger Daten untermauerte er, mit welcher Inbrunst die Leute damals den Bau ihrer Kirche verfolgt hätten – im Juli 1900 mit der Gründung des Kirchbauvereins, im November 1901 dann die Genehmigung der Pläne, im November 1902 die Erteilung der staatlichen Erlaubnis zum Baubeginn. „Aber bereits vor der Jahrhundertwende, also drei Jahre zuvor, kaufte Johann Danninger auf eigene Rechnung den Baugrund und ließ bereits Bruchsteine für die Grundfeste anliefern“, erzählte der Kirchenpfleger, der auf den ersten Spatenstich im Sommer 1901 hinwies.
Die Bauerlaubnis sei aber nur erteilt worden, weil sich sieben Bauern aus der künftigen Pfarrei mit 692 Seelen für Kredite mit einem Volumen von 35.000 Mark verbürgt hätten – „jeder mit 5000 Mark, dies entspricht heute etwa 50.000 Euro“, berichtete der Kirchenpfleger, der die Namen aufzählte: Johann Danninger (Ökonom aus Straß), Johann Nepomuk Sonnleitner (Ökonom aus Sanladerer), Franz Aigner (Ökonom aus Oberhaushof), Franz Putzenberger (Ökonom aus Großsandten), Ludwig Zöls (Ökonom aus Voglarn), Jakob Silbereisen (Schmied aus Voglarn) und Jakob Sonnleitner (Ökonom aus Linden). Am 12. Oktober 1903 sei die erste heilige Messe in Jägerwirth gefeiert, am 12. März 1921 die Expositur zur Pfarrei erhoben worden, so Wimmer. Hechberger merkte ergänzend an, dass die Pfarrkirche „Heilige Familie“ Mittelpunkt einer großen christlichen Gemeinschaft sei. „Glauben zu einem Erlebnis zu machen, dazu tragen seit jeher viele Ehrenamtliche bei, die sich auf vielfältige Weise in das kirchliche Leben einbringen“, stellte der Sprecher fest, der auch den Vereinen, jedoch in erster Linie dem Seelsorgeteam der Pfarrei Anerkennung zollte.
Zu den beiden Jubiläen gratulierten auch politische Ehrengäste. Der stellvertretende Landrat Hans Koller wollte gleichzeitig die Botschaft aussenden, dass Dankbarkeit wieder ein Stück weit in der Gesellschaft verankert sein sollte. Er würdigte „hundert Jahre Bekenntnis zum christlichen Glauben, zur Tradition und zur Heimat“. Fürstenzells Bürgermeister Manfred Hammer zeigte sich beeindruckt von der Leistung der Jägerwirther Vorfahren, aus eigener Kraft und eigenen Mitteln ihre Kirche erbaut zu haben. Er wünschte sich weiterhin einen solch beständigen Zusammenhalt, wie er beispielsweise im Zuge der Dorferneuerung Jägerwirth-Voglarn zum Ausdruck gekommen sei. Vor dem Kirchenportal gab es dann noch einen kleinen Stehempfang mit guten Gesprächen und schwungvollen Gesangseinlagen des Musicalvereins, was dem Bischof sichtlich Freude bereitete.
Text: Bernhard Brunner