Jugend

Was ist (noch) normal?

Redaktion am 22.02.2022

20181209 Männerseelsorge 4257 Kehl Foto: Simona Kehl

Die Not ist groß – der Bedarf an Hilfe ebenso. Studien belegen seit Jahren, dass psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen zunehmen. Die Corona-Krise verschärft das Problem, weil viele Kinder und Familien die Pandemie als Ausnahmezustand erleben. In der Folge steigt die psychische Belastung bereits bei den Jüngsten. Aus Sicht des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB) in der Diözese Passau ist es gerade jetzt wichtiger denn je, die Sorgen der Familien in den Blick zu nehmen.

Als Hil­fe­stel­lung für Eltern organ­sier­te der Diö­ze­san­ver­band gemein­sam mit dem Zweig­ver­ein Pleis­kir­chen einen Online-Vor­trag mit Dr. med. Ger­traud Fri­d­gen, Chef­ärz­tin der Kin­der- und Jugend­psych­ia­trie am ZKJM Alt­öt­ting. Wie die Zweig­ver­eins-Vor­sit­zen­de Moni­ka Kall­mai­er sag­te, kam die Anre­gung, das The­ma Psy­chi­sche Stö­run­gen bei Kin­dern und Jugend­li­chen“ auf­zu­grei­fen, aus der ört­li­chen Eltern-Kind-Grup­pe. Weil Dr. Fri­d­gen aus dem Gemein­de­ge­biet Pleis­kir­chen stammt, war mit ihr schnell eine kom­pe­ten­te Refe­ren­tin gefun­den. Doch was genau meint eigent­lich der Begriff psy­chi­sche Stö­rung“? Eine psy­chi­sche Stö­rung bei Kin­dern und Jugend­li­chen liegt vor, wenn das Ver­hal­ten und/​oder Erle­ben unter Berück­sich­ti­gung des Ent­wick­lungs­al­ters abnorm ist und/​oder zu einer Beein­träch­ti­gung führt“, defi­nier­te Fri­d­gen. Die Schwie­rig­keit lie­ge im Grau­be­reich: Was ist (noch) nor­mal, was ist abnorm?“ In die­sem Zusam­men­hang spie­len ver­schie­de­ne Kri­te­ri­en eine Rol­le, bei­spiels­wei­se das Alter. Wenn ein drei­jäh­ri­ges Kind an der Super­markt­kas­se in einen Wut­an­fall aus­bricht, weil es eine Süßig­keit nicht bekommt, sei das laut Fri­d­gen völ­lig nor­mal. Hier wür­de man nicht an eine psy­chi­sche Stö­rung den­ken. Han­delt es sich dage­gen um einen Zwölf­jäh­ri­gen, der in der glei­chen Situa­ti­on haut, beißt, spukt oder sich auf den Boden wirft, wird man eher hell­hö­rig werden.“ 

Überblick über Erkrankungsformen

Im Fol­gen­den ging Fri­d­gen auf die Viel­zahl psy­chi­scher Stö­run­gen ein, die Kin­der und Jugend­li­che betref­fen kön­nen. Denn nur wenn Eltern wis­sen, wel­che Erkran­kun­gen es gibt und wel­che Sym­pto­me mit die­sen Erkran­kun­gen ein­her­ge­hen, kön­nen sie in der Lage sein, Anzei­chen früh­zei­tig zu erken­nen. Zunächst beleuch­te­te sie kind­heits­spe­zi­fi­sche und in der Regel vor­über­ge­hen­de Stö­run­gen. Dazu zäh­len moto­ri­sche und sprach­li­che Ent­wick­lungs­stö­run­gen, aber auch ers­te For­men der Angst­stö­run­gen wie die Tren­nungs­angst. Dane­ben gibt es früh begin­nen­de Stö­run­gen, die in der Regel nicht wie­der ver­schwin­den. Bekann­te Bei­spie­le sind die Autis­mus-Spek­trum-Stö­rung oder Lern­stö­run­gen wie die Lese- und Recht­schreib­schwä­che. Für das spä­te Kin­des- und frü­he Jugend­al­ter ist das Auf­tre­ten ande­rer Erkran­kun­gen typisch. Fri­d­gen nann­te unter ande­rem Rede­fluss­stö­run­gen, Tic­stö­run­gen oder Ess­stö­run­gen. Im wei­te­ren Her­an­wach­sen, an der Schwel­le zum Erwach­se­nen­al­ter, kön­nen wie­der ande­re Erkran­kun­gen wie Schi­zo­phre­nie, Zwangs- und Angst­stö­run­gen oder Per­sön­lich­keits­stö­run­gen ent­ste­hen. Und schließ­lich gibt es psy­chi­sche Erkran­kun­gen, die unab­hän­gig vom Alter auf­tre­ten. Das kann eine aku­te Belas­tungs­re­ak­ti­on sein, bei­spiels­wei­se in der Fol­ge eines schwe­ren Unfalls. Trau­ma­ti­sche Erleb­nis­se wie Miss­brauch oder Miss­hand­lung kön­nen zu eine post­trau­ma­ti­schen Belas­tungs­stö­rung füh­ren. Auch Anpas­sungs­stö­run­gen tre­ten unab­hän­gig von Alter und Geschlecht auf“, so Fridgen. 

Im Fokus: das Zappelphillip-Syndrom

Nach die­sem Über­blick stell­te die Refe­ren­tin eini­ge psy­chi­sche Erkran­kung bei Kin­dern und Jugend­li­chen detail­liert vor. Beim Auf­merk­sam­keits-Defi­zit-Hyper­ak­ti­vi­täts-Syn­drom, bes­ser bekannt unter der Abkür­zung ADHS oder dem Namen Zap­pel­phil­lip-Syn­drom, liegt das Haupt­pro­blem der Betrof­fe­nen dar­in, dass sie sich nur schwer über einen län­ge­ren Zeit­raum auf ein bestimm­tes The­ma fokus­sie­ren kön­nen. Betrof­fe­ne haben Schwie­rig­kei­ten in der Hand­lungs­pla­nung und Selbst­struk­tu­rie­rung. Das heißt, sie sind unor­ga­ni­siert und kön­nen bei­spiels­wei­se Schul­auf­ga­ben nur schwer nach einem bestimm­ten Plan abar­bei­ten“, erklär­te Fri­d­gen. Die­ses Syn­drom gibt es auch ohne Hyper­ak­ti­vi­tät. Betrof­fen sei­en meist zurück­hal­ten­de Mäd­chen. ADS wer­de oft über­se­hen, weil die Kin­der nicht auf­fal­len. Sie rufen nicht dazwi­schen und stö­ren nicht, sind viel­leicht nur etwas ver­gess­lich. Dass sie ein ech­tes Pro­blem haben, wird gar nicht erkannt, weil sie so unschein­bar sind.“ Wich­tig: Ent­ge­gen vie­ler Behaup­tun­gen sind ADHS und ADS kei­ne Erfin­dun­gen der Neu­zeit. Das sind psy­chi­sche Erkran­kun­gen, die schon lan­ge bekannt sind. Sie tre­ten nun häu­fi­ger auf, aber es han­delt sich nicht um Mode­er­schei­nun­gen“, stell­te Fri­d­gen klar. Eltern, deren Kin­der an einem Auf­merk­sam­keit-Defi­zit-Syn­drom lei­den, gab Fri­d­gen ver­schie­de­ne Tipps. Hilf­reich kön­ne es sein, den Arbeits­platz so ein­zu­rich­ten, dass es mög­lichst wenig Ablen­kung von außen gibt. Zudem kön­ne es dem Kind hel­fen, Tech­ni­ken zu erler­nen, die beim Fokus­sie­ren unter­stüt­zen. Dazu zäh­len Atem­tech­ni­ken. Zen­tral sei zudem ein kör­per­li­cher Aus­gleich, um die inne­re Unru­he und Anspan­nung abbau­en zu können. 

Abschlie­ßend stell­te Ger­traud Fri­d­gen her­aus: Als Eltern kön­nen sie nur hin­se­hen und hell­hö­rig sein. Gänz­lich ver­mei­den lässt sich das Auf­tre­ten psy­chi­scher Erkran­kun­gen lei­der nicht. Sie kön­nen jeden tref­fen und das Eltern­teil kann dafür auch nichts.“

Text: Mareen Mai­er / Katho­li­scher Deut­scher Frauenbund

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