
Die Trennung der Christen von der jüdischen Glaubensgemeinschaft war ein durchaus schmerzvoller und blutiger Weg, der mit vielen Märtyrern gesäumt ist. Mehr dazu von Dompropst Michael Bär in seiner Predigt zum 7. Sonntag der Osterzeit am 29. Mai 2022.
Liebe Schwestern und Brüder,
auf dem Aufbau über dem Hochaltar ist die Steinigung unseres Dompatrons, des Heiligen Stephanus dargestellt. Die Lesung aus der Apostelgeschichte beschreibt genau diese Szene. Im Augenblick des Sterbens kniet der Diakon nieder und sieht in einer Vision den Himmel offen. Seinen Steinigern verzeiht Stephanus, setzt damit ein Zeichen der Vergebung und durchbricht den Kreislauf der Gewalt.
Über Stephanus schweben zwei Figuren, sie stellen die Ecclesia, die Kirche und die Synagoga, die jüdische Glaubensgemeinschaft dar. Die Ecclesia ist uns zugewandt, sie trägt den Palmzweig, das Erkennungsmerkmal der Märtyrer, der Blutzeugen. Die Märtyrer sind der Same des Christentums, sie verleihen der jungen Kirche Glaubwürdigkeit. Sie richten das Kreuz auf in der Welt.
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Die Kirche entsteht – die Gläubigen, die Anhänger des neuen Wegs lösen sich bewusst aus der jüdischen Gemeinschaft und schaffen etwas Neues, die Kirche, die Gemeinschaft, die dem Herrn gehört.
Die Synagoga wendet sich ab von uns, ihr Stab ist zerbrochen. Es zeichnet sich die Trennung der Christen von den Juden ab. Sie warten weiterhin auf das Kommen des Messias, des Erlösers, den wir Christen in Jesus von Nazareth erkennen.
Der deutsch-jüdische Freundeskreis hier in Passau hat im Gespräch mit dem Domkapitel diese Figur immer wieder thematisiert. Es haften ihr noch die alten Klischees und Missverständnisse an, die der Künstler Prof. Henselmann jedoch schon sehr bewusst zurückdrängt.
Im Mittelalter wurde die Synagoga gern verunglimpfend dargestellt als Hure mit offenem Haar. Wenige Jahre nach der Shoa in unserem Land waren sich sicherlich alle an diesem Altar Beteiligten bewusst, dass rücksichtsvoll mit der Figur der Synagoga umgegangen werden muss. Wenige Jahre später haben die Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils gefordert, dass die Juden nicht mehr als von Gott verworfen oder verflucht dargestellt werden dürfen. Es ist viel geschehen, um Juden und Christen miteinander zu versöhnen.
Religiös motivierte Kriege und Bürgerkriege auf der ganzen Welt müssen geächtet werden. Gewalt ist kein Mittel, um die persönliche Gottesbeziehung, die Glaubensentscheidung eines anderen, gleich wie sie ausfällt zu beeinflussen. Wie infam ist es, den guten Gott zu missbrauchen für Feldzüge gegen Andersgläubige und etwa gar in seinem Namen Tod und Verderben über sie zu bringen. Jesus spricht im Evangelium: Alle sollen eins sein.
Das Martyrium des Heiligen Stephanus ermahnt uns, gewaltfrei miteinander umzugehen, es gibt uns ein Beispiel für Vergebung und Versöhnung mitten in der Gewalt. Das ist der Weg, den Himmel offen zu halten.
Dr. Michael Bär
Dompropst