Ablauf einer Ehenichtigkeitsuntersuchung
Da die Katholische Kirche keine Ehescheidung kennt, geht es bei der Nichtigerklärung einer Ehe um die Feststellung, ob die Ehe zum Zeitpunkt der Eheschließung gültig zustande kam oder nicht.
So ist immer zu fragen, ob zum Zeitpunkt der Eheschließung Gründe vorgelegen haben, die keine Ehe haben zustande kommen lassen. Dies bedeutet, dass Schwierigkeiten, die erst im Verlauf der Ehe, also nach der Eheschließung aufgetreten sind, die Gültigkeit einer Ehe nicht in Frage stellen.
Es geht bei einer kirchlichen Ehenichtigkeitsuntersuchung nicht darum festzustellen, wer am Scheitern der Ehe Schuld gehabt haben könnte; es erfolgt auch keine moralische Bewertung des Verhaltens der Ehepartner oder gar eine „Verurteilung“ im Sinn einer Schuldzuweisung, sondern untersucht werden die Umstände, Haltungen, Anschauungen und Persönlichkeiten der beiden ehemaligen Gatten bei der Trauung.
Um eine Klageschrift annehmen und eine kirchliche Untersuchung offiziell eröffnen zu können, ist erforderlich:
- ein kirchlich anerkannter Nichtigkeitsgrund (vgl. Abschnitt „Die verschiedenen Gründe für ein Ehenichtigkeitsverfahren“)
- aussagewillige Zeugen oder andere Beweise
Diese Klageschrift wird in der Regel nach einem Beratungsgespräch mit einem Mitarbeiter des Bischöflichen Konsistoriums vom Antragsteller aufgesetzt.
Es spielt keine Rolle, wer der Antragsteller ist. Dies bedeutet, dass z. B. auch der Ehepartner die Klage auf Nichtigkeit der Ehe stellen darf, der einen Vorbehalt gesetzt hat. Die ehemaligen Ehepartner sind eigentlich nicht Gegner in einem Ehenichtigkeitsverfahren. Beklagt ist vielmehr das Eheband, dessen Gültigkeit das kirchliche Recht vermutet, so lange bis eben in einem Ehenichtigkeitsverfahren das Gegenteil bewiesen ist. Anwalt oder „Hüter“ dieses beklagten Ehebandes ist der so genannte „Ehebandverteidiger“. Er ist wie die beiden ehemaligen Gatten Partei in einem Ehenichtigkeitsverfahren und streitet für die Erhaltung des bestehenden Ehebandes.
Die Behauptung des Nichtigkeitsgrundes bedarf des Beweises. Dies geschieht durch die eidliche Aussage von zwei Zeugen vor dem kirchlichen Gericht. Als Zeugen kommen in Frage: Eltern, Geschwister, sonstige nahe Verwandte und gute Freunde, da diese in den meisten Fällen als einzige von den Ereignissen in der Ehe wissen. Die Aussagen der ehemaligen Gatten allein sind also nicht ausreichend. Sie müssen immer durch Zeugen ergänzt werden. Es kann auch möglich sein, bei entgegengesetzten Aussagen der ehemaligen Partner den Nichtigkeitsgrund durch Zeugen zu beweisen. Neben den Zeugenaussagen gelten als Beweismittel auch amtliche oder private Schriftstücke, wie etwa Briefe aus vorehelicher Zeit oder ärztliche Befunde.
Bei Ehenichtigkeitsprozessen besteht kein Anwaltszwang. Wenn aber ein Anwalt gewünscht wird, so muss ein Anwalt gewählt werden, der beim Bischöflichen Gericht zugelassen ist (ein Verzeichnis der zugelassenen Anwälte kann beim Bischöflichen Konsistorium erfragt werden). Die Parteien und Zeugen werden einzeln und mündlich befragt. Sie müssen nicht vor einem tagenden Gericht aussagen, sondern bekommen Gelegenheit, sich in einem Gespräch mit einem der Richter unter vier Augen zu äußern. Die ehemaligen Gatten und ihre Zeugen begegnen einander im Rahmen der Untersuchung also im Normalfall nicht persönlich.
Die Behandlung einer kirchlichen Ehesache kann dem ehemaligen Gatten allerdings auch nicht verschwiegen werden. Er wird vom Gericht offiziell über das Vorhaben des Antragstellers informiert und hat selbstverständlich das Recht, in der kirchlichen Eheuntersuchung Stellung zu nehmen und mitzuwirken. Hat ein Gatte kein Interesse an der Ehenichtigkeitsuntersuchung oder spricht er sich sogar offen dagegen aus, wird die Untersuchung wegen des Rechtes des antragstellenden Gatten auf Klärung seiner Ehe dennoch durchgeführt.
Für die Zeugen ist normalerweise mit einem Vernehmungsgespräch (von ca. 1 – 2 Stunden Dauer) ihr Dienst getan; die ehemaligen Gatten werden jeweils nach ihrer Aussage vom Gericht schriftlich über den Fortgang des Verfahrens unterrichtet und zu weiteren schriftlichen Stellungnahmen eingeladen. Nach den Aussagen aller Prozessbeteiligten (Gatten und Zeugen) verläuft der Prozess vollständig schriftlich. Nach Abschluss der Erhebungen erhalten die Gatten (nicht die Zeugen) Einsicht in die Protokolle; aber nur gegen schriftliche Zusicherung der Verschwiegenheit.
Die Nichtigerklärung einer Ehe kann in einer einzigen Instanz erfolgen.
Wenn eine Partei des Verfahrens (die ehemaligen Gatten und der Ehebandverteidiger) anschließend mit dem Urteil nicht zufrieden ist, kann Berufung vor die zweite Instanz eingelegt werden. Das ist für das Bistum Passau das Erzbischöfliche Metropolitangericht in München.
Ein Ehenichtigkeitsverfahren in der ersten Instanz dauert im Durchschnitt ein Jahr.
Zu beachten ist, dass ein kirchliches Ehenichtigkeitsverfahren erst nach dem endgültigen Scheitern einer Ehe – wenn jede Hoffnung auf Versöhnung der Gatten aussichtslos erscheint – vor dem kirchlichen Ehegericht eingeleitet werden kann.
Als zuständiges Gericht kommen in Frage:
- Das Gericht der Diözese, in der die ehemaligen Gatten ihren Haupt- oder Nebenwohnsitz haben.
- Das Gericht des Eheschließungsortes.
- Das Gericht der Diözese, in der die meisten Beweise zu erheben sind.
Die kirchlichen Ehenichtigkeitsprozesse finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind geheim.
Ein Ehenichtigkeitsprozess ist eine rein kirchliche Untersuchung und hat im zivilen Bereich (z. B. Sorge- und Umgangsrecht für gemeinsame Kinder, Unterhaltszahlungen…) keinerlei Konsequenzen. Das Urteil gilt im Normalfall für beide ehemaligen Gatten in gleicher Weise: d.h. wenn festgestellt wird, dass die Ehe ungültig war, dann gelten beide Partner als kirchlich ledig und sind zu einer zweiten Heirat frei. Da es im kirchlichen Ehenichtigkeitsverfahren um die religiöse Dimension der Ehe geht und nicht um die Ehe in ihrer soziologischen Rücksicht, gelten Kinder aus einer später für ungültig erklärten Ehe nach wie vor als ehelich.
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Claus Bittner
Domkapitular, Offizial