Im Jahr 2022 waren erstmals weniger als die Hälfte der Deutschen Kirchenmitglieder. Angesichts dieser massiven Entwicklung und der größer werdenden Suche der Menschen nach Sinn und Halt trafen sich engagierte Verantwortliche und Praktiker aus einem breiten Kreis ökumenischer Netzwerke, Einrichtungen und Kirchen auf Einladung von Bischof Dr. Stefan Oster SDB im Spektrum Kirche in Passau.
Ziel des Begegnungs-Forums war der gemeinsame Blick auf inspirierende Zukunftsmodelle missionarischer Gemeindearbeit katholischer, evangelischer und freikirchlicher Initiativen. „In Zeiten großer Zukunftsunsicherheit liegt es im Sinne des allen Christen geltenden Auftrags von Jesus Christus nahe, einander mit wegweisenden Modellen zu neuen Ideen herauszufordern. Wir wollen hinhören, wo etwas läuft und voneinander lernen – gerade der Blick über den Zaun kann dabei besonders inspirierend sein“, sagte Bischof Stefan Oster nach der Begegnung mit etwa 45 Leiterinnen und Leitern verschiedenster Gruppierungen, Bewegungen, Initiativen und Medien aus den christlichen Kirchen in Deutschland und Österreich, darunter fünf katholische Bischöfe.
„In Zeiten großer Zukunftsunsicherheit liegt es im Sinne des allen Christen geltenden Auftrags von Jesus Christus nahe, einander mit wegweisenden Modellen zu neuen Ideen herauszufordern.”
„Als Evangelische Allianz in Deutschland sind missionarisch vitale Kirchen schon immer eines unserer Kernanliegen gewesen. Wir möchten Netzwerke aller Art fördern, mit der guten Nachricht von Jesus Christus auf möglichst relevante Weise in der Gesellschaft Flagge zu zeigen. Wir freuen uns, dass auch in der katholischen Kirche und den vielen kirchlichen Gemeinschaften Schwestern und Brüder unterwegs sind, die uns in Kernanliegen nahestehen und von denen wir lernen können“, so Pastor Ekkehart Vetter, 1. Vorsitzender der Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD, Bad Blankenburg). Zu den Verantwortlichen des zum zweiten Mal stattfindenden Treffens gehört neben Oster und Vetter auch der Leiter des Gebetshauses Augsburg, Dr. Johannes Hartl und der 1. Vorsitzende von Willow Creek Deutschland, der auch als Publizist und Verleger bekannte Ulrich Eggers.
Wo und wie ist es möglich, Menschen auch unter heutigen gesellschaftlichen Bedingungen mit dem Evangelium und mit Christus in Berührung zu bringen? Diese Frage begleitete die Runde an den zwei Tagen. Schon in der ausführlichen Vorstellungsrunde öffneten sich die Teilnehmer füreinander und erzählten einander von missionarischen Impulsen, die für ihr je eigenes Leben bedeutsam waren.
Diese Fragestellung wurde dann nicht nur mit Blick auf bestehende Projekte und persönliche Erfahrungen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen, sondern auch fachlich-theologisch reflektiert. Hauptreferent war hierbei der katholische Innsbrucker Theologe Prof. Dr. Willibald Sandler, der sich in seinem kürzlich erschienen Buch „Charismatisch, evangelikal und katholisch“ mit verschiedenen Strömungen und Bewegungen, die auch innerhalb des Katholizismus Bewegung bringen, auseinandergesetzt hat.
Haben evangelikale oder charismatische Christen außerhalb der katholischen Kirche den Katholiken etwas zu sagen? Und umgekehrt? Können auch sie von den katholischen Christen lernen? Dabei wurde auch deutlich, dass keine der genannten Gruppen in sich homogen wäre. Ebenso deutlich wurde, dass das Wort „evangelikal“, das in unserem Land schnell negativ mit Bibelfundamentalismus assoziiert wird, ein breites Spektrum hochdifferenzierter, oft auch theologisch anspruchsvoller Modelle enthält, ähnlich wie bei dem Begriff „charismatisch“. Dabei gibt es auch mögliche Fallstricke, gefährliche Spiritualisierungen, theologische Verirrungen und ähnliches – insbesondere auch in bewegten Zeiten wie der aktuellen.
Die engagierte Diskussion auf den Vortrag Sandlers zeigte jedenfalls, dass die oft gravierenden Unterschiede den Wunsch nach mehr Miteinander nicht zunichte machen. Gemeinsam – so der Eindruck vieler – ist in jedem Fall der Wunsch aller, Menschen zu helfen, auch heute mit Christus in Berührung zu kommen.
Daher war dann auch die Frage: Gibt es Modelle missionarischen Kirche-seins, die wir einander zeigen können? Für die katholische Kirche hatten die Teilnehmer hohes Interesse an den Initiativen der HOME Base in Passau mit Jüngerschaftsschule, Gebetshaus und sozialem Engagement. Und an der an der Universität Passau angesiedelten, aus Amerika kommenden Bewegung FOCUS, wo sogenannte Focus-Missionare Studierenden in die Freundschaft mit Christus führen wollen. In beiden Initiativen wurde deutlich, wie die Qualität von gelebten Beziehungen Voraussetzung ist, um anderen deutlich zu machen, wie sehr die Begegnung mit Christus ein Leben bereichern und erfüllen kann.
Aus dem breiten evangelischen Kontext wurden zwei Projekte vorgestellt. Armin Beck von Alpha-Deutschland zeigte auf, wie gut es möglich ist, mit Alpha-Kursen Menschen niederschwellig zu erreichen – und sie dennoch in den Glauben zu führen. Steffen und Sibylle Beck, beide Leiter des ICF (International Christian Fellowship) Karlsruhe, verdeutlichten ihrerseits, wie sie sich aus ursprünglicher Unzufriedenheit mit zu starren kirchlichen Strukturen einer Freikirche anschlossen um dort die Möglichkeit zu haben, eine kirchliche Gemeinschaft zu gründen, die vor allem junge Menschen von heute erreichen kann, durch kreative Gottesdienst- und Gemeinschaftsformen und mit dem wichtigsten Ziel, sie durch die Berührung mit Jesus „zu retten“, wie sie sagten. Auch das Gespräch darüber löste die Frage aus: Geht es den etablierten evangelischen und katholischen Kirchen wirklich noch um „Rettung“? Was hieße „Rettung in diesem Kontext“? Und wenn es nicht mehr um „Rettung geht“: Warum scheinen dann oft diejenigen Kräfte stärker zu sein, die sich eher um Selbsterhalt als um Evangelisierung kümmern?
„Wir stehen in den unterschiedlichen Konfessionen vor den gleichen Herausforderungen, wie wir heute Glauben in unsere Gesellschaft transportieren.”
„Wir stehen in den unterschiedlichen Konfessionen vor den gleichen Herausforderungen, wie wir heute Glauben in unsere Gesellschaft transportieren“, so Siegfried Winkler, 2. Vorsitzender der Evangelischen Allianz Deutschland. Um so wichtiger ist es, sich gemeinsam auszutauschen, wie Kirche der Zukunft gestaltet werden kann. „Wir müssen uns vor den Hintergrund der Fragen, die unsere Gesellschaft bewegen, neu fragen, was Kirche ist, wie sie sich ereignen muss und was ihre Relevanz für die Menschen von heute ist. Und da sind wir miteinander verbunden und können eine Menge voneinander lernen.“
Die Teilnehmenden zeigten sich angetan von einem Treffen, bei dem sich erstmals auch mehrere katholische Bischöfe auf dieses breite Spektrum von Kirche und Glaubensgemeinschaften eingelassen haben. Insbesondere die geschwisterliche Atmosphäre und das gemeinsame Gebet wurden von den meisten dankbar erwähnt. Aller Voraussicht nach wird es im nächsten Jahr ein Folgetreffen geben. Als thematische Frage wurde unter anderem vorgeschlagen: „Wie kann man heute Christ bleiben?“ Bischof Stefan Oster bedankte sich für das Kommen von so vielen Verantwortlichen, die teils von weit her angereist waren – und sprach die Hoffnung aus, dass auch dieses Treffen ein Schritt zu der Einheit gewesen sein möge, die Christus für alle wünscht, die an ihn glauben.