
Nach sieben Wochen Aufenthalt auf Lesbos zu Jahresbeginn ist Diakon Günther Jäger ungebrochen engagiert in der Flüchtlingshilfe tätig. Den Mut an seiner Arbeit hat er keinesfalls verloren, trotz aller Widrigkeiten: „Freud und Leid wohnen immer noch Tür an Tür“, berichtet er.
„Da ist die Afrikanische Familie aus dem Kongo, die um ein paar T‑Shirts und Turnschuhe gebeten haben, da ihre Kleidung schon sehr abgetragen ist. Und wenn’s geht vielleicht noch je eine Jeans für den Vater und die Mutter“, so Jäger, der die gewünschten Klamotten bringt und mit afrikanischen Dankgesängen empfangen und umarmt wird. Die Fluchtgeschichten bleiben die gleichen, wie schon seit Jahren: „Die Geflüchteten erzählen von Hoffnung auf ein sicheres Leben in Europa, fern der Bedrohungen durch Codeco-Milizen im Heimatland. Trotz der Umstände und des doch fraglich menschenunwürdigen Lebens in einem großen Camp, weit vor der Küste Griechenlands, sind sie glücklich und dankbar hier zu sein“, so Jäger, der eine afghanische Familie gegenüberstellt. Hossein war Mitarbeiter der afghanischen Regierung, seine Frau im Landwirtschaftsministerium. Die Bedrohungen haben seit 2016 zugenommen. Genauso wie Sweena, die im Frühjahr 2017 ihren Vater verloren hat; die Repressalien der Taliban waren für sein Herz zu viel. Die Mutter war an Krebs gestorben. Der Bruder wurde als Polizist massiv bedroht und wurde schließlich von den Taliban erschossen. Sweena selbst flüchtete 2017 aus Kabul erst in den Iran, und von dorthin weiter in die Türkei. Fünf Versuche später gelang ihr 2020 die Flucht nach Lesbos. Die Kosten hierfür betrugen 6.000 Dollar für sich und ihr neugeborenes Baby. Kaum angekommen war sie wieder auf der Flucht, weil das Camp Moira abbrannte. Was bleibt, sind schließlich nur noch ein paar Habseligkeiten, wie ihre Kleidung am Körper, und das Baby. Viermal wurde ihr Asylantrag bisher abgelehnt. „Mein Mann ist krank und muss viele Tabletten nehmen. Und ich selbst bin in psychologischer Behandlung. Ich kann nicht mehr“, berichtet sie Günther Jäger.
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.”
Nicht nur Sweena fragt sich, warum ukrainische Flüchtlinge so problemlos in die Europäische Union kommen können, wo sie schnell und unkomliziert eine Unterkunft, finanzielle Unterstützung, einen Kindergarten- oder Schulplatz und eine Arbeitserlaubnis bekommen, während sie selbst im Camp unter teils unwürdigen Bedingungen leben müssen. Günther Jäger bleibt ihr die Antwort schuldig. „Es geht mir tief ins Herz. Hier merke ich wieder deutlich, was es heißt, an die Ränder zu gehen.“ Aber trotz allem ist Hilfe möglich, auch mittels Unterstützung durch einen Anwalt. „Nicht nur die Ukraine ist ein Kriegsgebiet, sondern auch Afghanistan“, so Jägers Worte. „Ich werde nicht müde, den Menschen zu helfen. Es ist mein Auftrag; es ist meine Berufung. Auch wenn ich diesen Gott nicht immer verstehe – er muss doch irgendwo sein. Es sind wohl zu viele Krisen in der Welt“, so Jäger.
Aus den kleinen alltäglichen Begegnungen und dem Gebet schöpft der engagierte Diakon Kraft für sich und seine Arbeit. „Ich werde nicht aufgeben. Gott gibt mir die Kraft dazu“, ist er sich sicher.
Text: Tine Limmer